„Da fällt mir ein Witz ein“

■ Museumsbesuch mit Bremer Künstlern in der Weserburg: Rainer Krause und David Bartusch unterhalten sich beim Flanieren durch reiche Arte povera

„Die Sensibilität des Publikums zu flexibilisieren“, „neue grenzenlose Wahrnehmungsmöglichkeiten zu eröffnen“( Kunstkritiker Germano Celant), „noch einmal anzufangen“(Alighiero Boetti): mit solchen Idealen ist die Arte povera Ende der 60er Jahre angetreten, den Kunstmarkt, die Kunst, den Betrachter ganz grundsätzlich aus ihren Gewohnheiten herauszuschupsen. Janis Kounellis radikalisierte Duchamps Ready Mades. Ein Pissoire zur Kunst umwerten? Warum dann nicht gleich pissende Tiere ausstellen, das ganze wiehernde, schnaubende Leben; – und parkte zwölf Pferde in der Galleria L'Attico in Rom. Dung, Schweiß, Schnauben: wann wird was warum und wie als Kunst wahrgenommen? Andere Vertreter der Arte povera zertrümmerten den gesetzten Menschen der Antike mit seinem graziösen Spielbein und solidem Standbein in goldenem Schnitt und verstreuten seine Fragmente in Kartoffelbergen. Kunst denkt die Kunst der Vergangenheit weiter. Bisweilen geht sie auch einfach abhanden: leere Spanplatten, übereinandergeschichtete Rahmen, und nichts darinnen, aber durchaus einiges dahinter. Eine Kunst, die nichts lieber tut, als mit Kunst zu spielen, sie zu zerlegen und ihr ins Gesicht zu grinsen/fragen/denken, will vielleicht gar nicht beschrieben werden. Am Ende wünscht sie sich selbst nichts mehr als eine Widerspiegelung und Dekonstruktion.

Die taz war unterwegs mit zwei besonders netten Spiegeln. Sie heißen Rainer Krause und David Bartusch. Der eine ist Kunsthochschulabsolvent, der andere Graphikdesigner. Zusammen betreiben sie die etwas andere Werbeagentur „die Farm“. Unterscheiden die allermeisten Künstler zwischen Brotarbeit und Herzensblutwerk, so existiert für Bartusch und Krause die Absonderung von l'art pour l'art und Auftrag nicht mehr. Für Werbung setzen sie die Strategien der Avantgarde ein. Umgekehrt thematisieren ihre Kunstprojekte die Gesetze des Marktes. Und bei einigen Arbeiten wissen sie selbst nicht mehr genau, ob–s als Kunst- oder Marketingidee angedacht war.

Hier werben sie für eine Ausstellung. Oder ist lachendes Denken vielleicht gar Kunst?!

Vor Pier Paolo Calzolaris tiefgekühlter Flöte (“Eine Blockflöte um mich zum Klingen zu bringen“)

Bartusch: Metall, von unberechenbaren Eismusterungen durchsprenkelt. Natur und Industrie. Keine Gegensätze mehr, sondern in Synthese. Das ist schön. Allerding längstens geklaut von der Werbung. Das ist die Nike-Ästhetik. Der Einsatz von Bronx-Charme, verwilderte Kultur...

Krause: Wird diese arme Flöte dadurch schlechter? Ist es ihr Fehler , nicht gewappnet zu sein gegenüber den Übernahmeangeboten der Werbung?

B: Nein. Natürlich haben wir, spätestens seit der Pop art, diese fließenden Grenzen, eine wechselseitige Beeinflussung...Nichts dagegen auszusetzen.

K:... und oft ist die Werbeästhetik heute der Kunst einen Schritt voraus. Deshalb wirken viele Kunstwerke sehr bald sehr angestaubt. Kühlaggregate: zu oft schon gesehen.

B: Dieser Eindruck der Verstaubtheit, vielleicht ist das nur eine Wirkung des Orts, der Räume. In einer Garage wäre dasselbe ein ganz anderes.

Vor Pier Paolo Calzolaris Goldfisch „Senza Titulo“:

K: Diese Kunst gibt den Menschen zu tun. Die Rose muß sicher täglich gewechselt werden. Und der Fisch hat wohl geregelte Arbeitszeiten, schwimmt streng nach Manteltarif.

(Ein Museumswächter kommt und mahnt zur gebührenden Distanz)

K: (zum Aufsichtspersonal) Wird das Wasser regelmäßig gewechselt?

Der Aufpasser: Ja sicher

K: Wie oft? Und wann?

Der Aufpasser: Weiß nicht. Da müßte ich mich erkundigen.

K: Scheint alles geregelt zu sein. Ich bin beruhigt. Wir können gehn.

Vor Giuseppe Penones riesigen, gläsernen „Fingernagel auf Lorbeer“

B: Beeindruckend. Da wirkt Glas mal ausnahmsweise nicht wie ein Material für Designer, Sektkelche zum Beispiel, sondern ist Natur pur.

K: Und in Verbindung mit dem Kartoffelberg da drüben denkst du zwangsläufig an Lagerfeuer, Kartoffelfeuer...

B: ...überhaupt an Kindheit, an Maulwurfspielen: das Hineinwühlen in große Laubberge.

Ein Stockwerk höher.

K:: „Ein Iglu. Aha, da wissen wir, das ist Mario Merz. Ich sehe einen Iglu in Hamburg und denke, es ist Mario Merz, ich sehe einen Iglu in Berlin und denke, es ist Mario Merz. Im Hamburger Bahnhof ist der Iglu besonderders groß, und ich denke: alle Achtung, ein hoher Ausstellungsetat; der Iglu hier ist eher dürftig. Och, ein kleiner Etat. Außerdem ist er aus Metall. Was denkt man von den Bremer Museumsbesuchern? Etwa, daß die Plexiglas zerkratzen würden? Diese Tölpel bekommen nur Unverwüstliches?

B:: Aber die Fibonacci-Reihe. Die finde ich spannend. Einmal treibt sie Merz richtig in die Höhe, das andere Mal endet sie bei der Drei. Als müßte sich Merz zu jeder neuen Zahl durchringen, würde sich fragen: darf ich noch –ne Zahl preisgeben, darf ich nicht? Auf die kleinen Unterschiede in der Wiederholung kommt es an.

Vor Michelangelo Pistolettos „L'Etrusco“.

B: Toll.

K: Toll.

B: Kaum stellt man einen Potentaten vor einen Spiegel, zwingt ihn sich selbst anzusehen, verliert er schlagartig seine Macht.

K: Der regiert über nichts mehr, höchstens noch über sich selbst.

B: Die arrogante Geste des Herrschens. Entzieht man ihr das Publikum, wird sie plötzlich ganz zärtlich, tastend nach sich selbst. Wie wenn man morgens vor dem Spiegel steht.

K: Und da drüben, die Frau, versenkt in ihr eigenes kleines Spiegelbild, und deshalb blind für den großen Spiegel. Eine Spiegelung der Spiegelung.

B: Dieselbe Methode wie beim Etrusker, aber eine ganz andere Aussage.

K: Der Etrusker reflektiert sich selbst, und der Betrachter beteiligt sich. Die Frau ahnt nicht, daß man sie kalt erwischt bei ihrer narzißtischen Selbstbetrachtung. Der Betrachter nimmt eine auktoriale Position ein. Er ist überlegen.

B: Viele verschiedene Formen des Sehens und Gesehenwerdens. K: Und dazwischen alte Klamotten, ekelig, angedünstet von den Wasserkochern, als würden sie Schweiß absondern. Eigentlich müßte es stinken. Genauso, wie wenn du eine Altkeidersammeltonne aufmachst. Tut es hier im Museum natürlich nicht, wäre aber ein schöner, gemeiner Kontrast zu den herrlichen Statuen.

Vor Alighiero Boettis „Lampada annuale“, die nur ein einziges Mal im Jahr für gerade mal elf Sekunden zum Erblühen, genauer: zum Leuchten kommt, und keiner weiß, wann.

B: Das würde ich mir gerne von Daimler Benz sponsern lassen:

K: Vielleicht auch eine gute ABM-Maßnahme.

B: Ein ganzes Jahr Sitzarbeit: Warten vor Lampe. Man müßte mich aber an den Zufallsgenerator mitanschließen. Nicht daß ich dann am Ende das Leuchten verpasse.

K: Das Leuchten verpaßt man immer im Leben.

Vor Giulio Paolinis serieller Uhr „IF“

B: Erinnert mich von den Farben her an Muybridge-Fotografien, diejenigen mit den in Einzelmomente zerhackten Bewegungsabläufen.

K: Hier aber bleibt die Uhr stehen. Der Sekundenzeiger rückt nicht von der Stelle.

B: Und doch hat man den Eindruck eines Voranschreitens. Da sollte man jetzt wohl nachdenken über Zeit, gedehnte Augenblicke, die versteckte Dynamik in der Wiederholung...

K: Eine Uhr auf Leinwand ist eine Uhr auf Leinwand ist eine Uhr.

B: Das ist eben alles eine Kunst des Versteckens. Nichts wird direkt gesagt. Nicht nur in der Kunst. Wir sind Verschlüsselungsmeister.

K: Da fällt mir ein alter Witz ein: Sagt ein eingebildeter Kunstkritiker zum anderen: Hast Du eigentlich schon meine neue Ausstellung gelesen!?

B: Die sind richtig abgerichtet.

K: Der eine versucht den anderen zu überbieten, strengt sich an noch freiere, noch assoziativere Gedankenketten zu bilden als der Kritikerkonkurrent, – und fühlt sich dann besser.

B: Und das wirkt zurück auf die Kunst. Die müssen Verschlüsseltes liefern, damit die Kritiker ihr Futter haben.

Vor einer verrutschten Jahreszahl

B: Schön, wieder eine Reflexion auf die Zeit. Das verstehe ich jetzt, – und fühle mich gut deshalb.

Und hier, diese politisch angehauchtenWebarbeiten, da denke ich an Kinderarbeit vor Saddam Hussein Portraits.

(Plong: Irgendetwas fällt von der Decke. Ein Wärter eilt herbei.)

K: War kein guter Gedanke.

B: Aber ne wirklich gute Selbstführung.