Schmerzmittel mit Nebenwirkung

Mediziner fordern, daß Kombinationsschmerzmittel rezeptpflichtig werden  ■ Von Klaus-Peter Görlitzer

Koffeinhaltige Schmerzmittel sollen künftig in Deutschlands Apotheken nicht mehr frei verkauft, sondern nur noch gegen Vorlage eines ärztlichen Rezepts abgegeben werden. Dafür will sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stark machen, wenn im Januar 1997 der „Sachverständigenausschuß für Verschreibungspflicht“ tagt. Unterstützt wird die BfArM- Initiative von der gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Monika Knoche. Rezeptfreie APC-Kombinationsmittel, also Präparate mit den Wirkstoffen Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Koffein, können bei langjährigem Gebrauch schwere Nierenschäden verursachen.

Der Vorstoß der Berliner Behörde, den das Bundesgesundheitsministerium in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Knoches ankündigt hat, dürfte vielen Pharmaunternehmen einiges Kopfzerbrechen bereiten – und sie zu reichlich Lobbyarbeit stimulieren: Mit rezeptfreien Pillen, die gegen Schmerzen an Kopf, Rücken, Zähnen, Nerven oder bei Menstruationsbeschwerden helfen sollen, setzt die Branche jährlich rund eine halbe Milliarde Mark um; etwa 15 Prozent davon investiert sie in Werbung, 165 Millionen Packungen mit Tabletten und Kapseln gegen Schmerz gingen allein 1995 über die Tresen der Apotheken.

Die Bedenken gründen sich auf Studien und Stellungnahmen. „Zur Behandlung chronischer Schmerzzustände sind APC-Kombinationen ungeeignet“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Vorstände der Gesellschaft für Nephrologie und der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für klinische Nephrologie. Nach Darstellung der Nierenärzte können APC-Präparate eben das Leiden verursachen, das sie gemäß Werbeversprechen der Hersteller gerade verhindern sollen: Dauerkopfschmerzen. Schlimmer noch: Fünf Fallkontrollstudien aus den USA und Westeuropa hätten ergeben, „daß die regelmäßige Einnahme von Kombinationsschmerzmitteln mit einem hohen Risiko für das Entstehen einer chronischen Nierenschädigung verbunden ist“.

Dabei spiele der Zusatz des anregenden Koffeins eine Schlüsselrolle, weil es bei den Nutzern „eine schwer kontrollierbare Gewohnheitsbildung begünstigen“ könne. „Wir als Nephrologen“, sagt der Berliner Professor Martin Molzahn, Mitautor der Erklärung, „erleben täglich das schlimme Schicksal der Patienten, die jahrelang Schmerzmittel eingenommen haben. Erst fällt ihre Nierenfunktion aus, am Ende kriegen viele auch noch Harnleitertumore.“

Epidemiologische Studien untermauern die Erfahrungen der Nephrologen. Bei ungefähr 15 Prozent der Patienten, die auf ein Dialysegerät angewiesen sind, sei die Niereninsuffizienz auf übermäßigen Schmerzmittelgebrauch zurückzuführen, heißt es in einer Vorstudie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Gerd Glaeske, von der Barmer Ersatzkasse, schätzt: Dialysebehandlungen, die auf rezeptfreie Schmerzmittelkombinationen zurückzuführen sind, kosten die Kassen jährlich rund 600 Millionen Mark. Glaeske geht von 6.000 betroffenen Patienten aus.

Nicht alle kritisieren die APC- Kombinationen, schon gar nicht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Der BPI verweist auf Aufsätze und Gutachten von Professor Johannes Michael Fox. Der leitet die Forschung und Entwicklung in einer BPI-Mitgliedsfirma und war nebenbei jahrelang tätig im mehreren Kommissionen beim ehemaligen Bundesgesundheitsamt.

Fox hält den Nephrologen vor, was die Nephrologen ihm vorhalten: Ihre Position sei „politisch“ und „nicht wissenschaftlich“ begründet. Nach Darstellung von Fox seien kombinierte Schmerzmittel für die Konsumenten nicht riskanter als die Pillen mit nur einem Wirkstoff. Der Zusatz von Koffein sei zweckmäßig, weil er den Eintritt der schmerzhemmenden Wirkung beschleunigen könne; nicht bewiesen sei, daß Koffein abhängig mache und Mißbrauch stimuliere. „Einzelfälle“ möge es geben, aber grundsätzlich liege die Ursache, so Fox, „in den Strukturen der mißbrauchenden Persönlichkeit“. Allerdings räumt auch er ein, daß die Einnahme von Kombinationschmerzmitteln Dauerkopfschmerz verursache. Und es bestreitet auch nicht, daß ihr Langzeitgebrauch zu Nierenschäden führen könne, fügt aber hinzu, daß dies in gleichem Maße für die chronische Einnahme von Schmerzmitteln mit nur einem Wirkstoff gelte.

Unterstützung findet der Professor bei der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer, die in ihrer Stellungnahme auf Fox als maßgebliche Quelle verweist. „Die Beliebtheit dieser Präparate“, schreibt der Kommissionsvorsitzende Benno Müller-Oerlinghausen, „ist wesentlich der besseren und schnelleren Wirksamkeit zuzuschreiben.“ Daß Koffein die Wirkung verstärke, habe eine große repräsentative Studie mit Spannungskopfschmerzpatienten „statistisch hoch signifikant“ gezeigt. Aber die Kombination verursache auch deutlich mehr Magendrücken, Nervosität oder Schwindel als ein Placebo oder ein Schmerzmittel, das ausschließlich Paracetamol enthalte.

Diese Sichtweise hat sich das Bundesgesundheitsministerium angeschlossen. Gleichwohl schreibt es in der Antwort auf Knoches Anfrage auch, daß eine Verschreibungspflicht für koffeinhaltige Kombinationschmerzmittel „eine mögliche Maßnahme“ sei, um schmerzmittelbedingte schwere Nierenschädigungen „langfristig zu senken“.

Selbst wenn es hierzulande zu einer Verschreibungspflicht käme, die es in anderen Staaten längst gibt, wäre ein entscheidendes Problem noch nicht gelöst, das offenbar viele Menschen zu Schmerzmittelmißbrauch verleitet: Die qualifizierte Behandlung von Patienten, die unter chronischen Schmerzen leiden.

Obwohl Kopfschmerzen als Volkskrankheit Nummer eins gelten, seien die Betroffenen noch immer „die Waisenkinder der Medizin“, meint Hartmut Göbel, Vizepräsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Spezialisierte ambulante und stationäre Einrichtungen fehlten, zudem mangele es an qualifizierter Weiterbildung der Mediziner. Eine Folge solcher Defizite sei der „Kopfschmerztourismus“, also das Wechseln der Patienten von Arzt zu Arzt. Am Ende stehe die Abkehr von der professionellen Medizin – und damit oft der Einstieg in die Selbstmedikation, die schlimme Folgen zeitigen kann.