Netanjahu wendet neuen Konflikt ab

Eine jüdische Siedlung in Ost-Jerusalem soll erst einmal nicht gebaut werden. Doch gleichzeitig will die Stadtverwaltung illegal errichtete palästinensische Häuser abreißen  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Der Bau einer neuen jüdischen Siedlung am Fuße des Ölbergs im arabischen Ost-Jerusalem ist gestern aufgeschoben worden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, er werde nicht zulassen, daß zum jetzigen Zeitpunkt in Ras al-Amud „jüdische Wohnungen“ gebaut werden. Die israelische Regierung sandte entsprechende Botschaften an die USA, Ägypten, Jordanien und die palästinensische Autonomiebehörde. Die Stadtverwaltung von Jerusalem hatte das Vorhaben am vergangenen Donnerstag genehmigt.

Für den Bürgermeister ist das Bauprojekt in Ordnung

Bürgermeister Ehud Olmert verteidigte das Projekt und bezeichnete es als „juristisch einwandfrei“. Ihm sei nicht klar, so Olmert, wie der Ministerpräsident verhindern wolle, daß in Ras al-Amud gebaut werde. Das israelische Radio meldete gestern jedoch, daß der US- amerikanische Investor Irving Moscovitz die Entscheidung getroffen habe, vorerst nicht mit dem Bau zu beginnen. Netanjahus Berater David Bar Ilan erklärte, daß Moscovitz das Recht habe, in Ras al-Amud zu bauen. Doch sei Ras al-Amud ein dichtbevölkertes arabisches Viertel, dessen Zusammensetzung unter den gegenwärtigen Umständen nicht verändert werden müsse. Der oppositionelle Knessetabgeordnete Yossi Sarid warnte vor einem Blutbad, falls mit dem Bau begonnen werde.

Das Bauvorhaben hatte auf palästinensischer Seite einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Palästinenserpräsident Jassir Arafat nannte das Projekt einen Todesstoß für den Friedensprozeß. Arafats Vertreter in Jerusalem, Feisal al-Husseini, sprach in einem Rundfunkinterview von „einer sehr ernsten Provokation und einer weiteren Einladung für gewaltätige Zusammenstöße“. Im Gegensatz zur israelischen Regierung interpretiert die palästinensische Autonomiebehörde den Siedlungsbau als Verstoß gegen das Oslo-Abkommen, nach dem Veränderungen des Status quo bis zum Abschluß der Verhandlungen untersagt sind. Nach internationalem Recht ist Ost-Jerusalem besetztes Territorium und die Ansiedlung von Israelis nach der vierten Genfer Konvention verboten.

Doch ob der Friedensprozeß mit dem Baustopp gerettet ist, ist fraglich. Denn der nächste Konflikt steht schon vor der Tür. Die Jerusalemer Stadtverwaltung hat in letzte Woche angekündigt, mehrere hundert, nach anderen Meldungen sogar Tausende illegal errichtete arabische Häuser in OstJerusalem abreißen zu lassen. Diese Maßnahme könnte ähnliche Unruhen auslösen wie die Öffnung des Hasmonäer-Tunnels in der Altstadt im vergangenen September. 70 Palästinenser und 12 Israelis kamen damals ums Leben.

Mit dem Abriß der Häuser soll begonnen werden, sobald Sicherheitsminister Avigdor Kahalani eine Polizeitruppe bereitgestellt hat, die die Arbeit der Bulldozer begleitet. Nach Angaben des Innenministeriums sind bislang 150 Abrißgenehmigungen erteilt worden. Die Stadtverwaltung beschuldigt die Autonomiebehörde, hinter dem palästinensischen Bauboom zu stecken. Ein Sprecher erklärte: „Arafat will in Jerusalem Fakten schaffen, gerade so, wie wir es auch machen.“

Im Orienthaus, der palästinensischen Vertretung in Jerusalem, räumt man ein, daß die Häuser nach israelischem Recht illegal gebaut sind. „Aber nicht, weil wir keine Baugenehmigungen beantragen“, sagt ein Sprecher, „sondern weil wir Jahre darauf warten.“ So habe die Stadtverwaltung nach 30jähriger Besatzung noch immer keinen Flächennutzungs- oder Parzellierungsplan für bestimmte palästinensische Wohngebiete aufgestellt. In Jerusalem fehlten 30.000 Wohneinheiten für Palästinenser. Diese müßten deshalb ins Westjordanland ziehen, was zur Folge habe, daß ihnen der israelische Ausweis und damit das Recht, in Jerusalem zu wohnen und zu arbeiten, entzogen werde.

Für Menschenrechtler sind die Abrißpläne illegal

Nach Ansicht der israelischen Menschenrechtsgruppe Ir Schalem ist die Absicht der Stadtverwaltung „unmoralisch und illegal“. 62 Prozent der Palästinenser lebten zu zweit oder mit mehreren Personen in einem Zimmer, aber nur 12,5 Prozent der Israelis. Der Abriß der Häuser sei „rein politisch motiviert“. Damit solle eine jüdische Mehrheit in Ost-Jerusalem abgesichert werden. Obwohl die Palästinenser rund 30 Prozent der Bevölkerung in der Stadt ausmachten, seien sie nur für 12 Prozent der Bauverstöße verantwortlich. Wegen drohender Kritik will die Stadtverwaltung die Häuserzerstörung nur schrittweise durchführen. Seit den Tunnel-Unruhen ist in diesem Monat zum ersten Mal wieder ein palästinensisches Haus in Jerusalem zerstört worden.