Phallische Phantasien in gelber Verpackung

■ Bono kann nicht tanzen: Trotz der aktuellen Flirts mit DJs, Techno und HipHop bleiben U2 bei ihrem deutschen Tourneestart in Köln eine echte Rock'n'Roll-Band

Cool wollen sie ja alle sein, die Mannen von U2. Aber so richtig gelingt das nur Adam Clayton: gelbe Haare, gelbe Sonnenbrille, gelbe Baßgitarre, greller Overall. Vor allem bleibt er locker, als die Mannschaft aus ihrer Zitrone steigt. Nein, so richtig gelb ist die hohle Fruchtblase zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Eher silbrig glitzernd, eine Mischung aus Raumschiff Enterprise und gigantischer Discokugel. Anders als der lässige Bassist Clayton schreiten Bono und The Edge mit verschränkten Armen die Treppe der Space-Fruit hinab wie beim Staatsakt.

Auch die Fans am ehemaligen Kölner Kasernengelände „Butzweiler Hof“ haben das Gefühl, einem historischen Akt beizuwohnen. Wochenlang konnten sie dem U2-Hype auf MTV und Viva sowenig entgehen wie auf anderen Kanälen dem strampelnden Jan Ullrich. Jetzt war der „PopMart“ endlich live da: U2 mit der weltgrößten Leinwand im Rücken (700 Quadratmeter), der Zitrone (zehn Meter) samt Olive (vier Meter) zur Seite, aufgespießt auf einem leuchtenden Zahnstocher (30 Meter). Dazu ein spitzer, wiederum gelber Rundbogen im Zentrum der Bühne. Bonos phallische Phantasien? Oder eine aufgeblähte Hälfte des McDonald's-Logos? „Das ist unsere Kathedrale“, klärt Bono die Fangemeinde auf und geht zur nächsten Strophe über: „I believe in the kingdom come...“

„Nach Band aid und Life aid machen wir jetzt lemonade“, hatte er zuvor gewitzelt. Doch zu behaupten, U2 hätten ihrer musikalischen Missionarsstellung vollends abgeschworen, wäre gelogen. Sie zücken nur den Zeigefinger nicht mehr so deutlich. „Still haven't found what I'm looking for“ jedenfalls war nicht das einzige Stück aus alten Zeiten. „New Year's Day“, „With or Without You“, sogar den Prediger-Song „Pride“ holte Bono aus dem Konzertkoffer. Schon zu Beginn durchmaß die Band den neuen U2-Kosmos: Mit „Mofo“, den knapp sechs Minuten auf dem aktuellen Album „Pop“, in denen die Drum-Computer am unerbittlichsten hämmern, eröffnete sie den Abend, darauf ließ sie „I Will Follow“ prallen – ein Stadionreißer von der Debütplatte „Boy“.

Noch heute verreißt etwa der Stern den Stilbruch seit „Achtung Baby“ als einen Affront für „echte Fans“, wohlmeinendere Kritiker halten die elektronische Wende von 1991 für den „St. Pepper“- Effekt. Doch eigentlich waren U2 immer auf Suche nach sich selbst, stets mit Hilfe von außen: 1984 und 1987 mit Soundtüftler Brian Eno, 1988 mit Blues-Legende B.B. King und 1991 eben mit Trabi. Einiges hat sich verändert in all den Jahren. Die Haare sind kürzer geworden, Schlagzeuger Larry Mullen hat das „junior“ hinter seinem Namen gestrichen. Aber im „PopMart“ trägt The Edge, wie damals, wieder Cowboyhut.

So wartet man vergeblich auf den stadionfähigen Remix von „Staring at the Sun“, das statt dessen im hymnischen Westerngitarren-Duett daherkommt. Das trancige „Velvet Dress“ wird auf der Bühne zur trommellastigen Ballade, und die Gitarre im TripHop- Stück „Miami“ – Bono als feister Florida-Tourist – rumpelt so, daß man es von „Bullet the Blue Sky“ kaum unterscheiden kann. Keine Frage, auch nach ihrem Studio- Flirt mit Club-DJ Howie B sind sich die vier Iren in einem treu geblieben: Unter ihren Händen zerschellt das durchgestylteste Stück zum beinharten Rocksong.

Und das ist gut, kein Grund zu falscher Scham. Pop à la U2 kommt auch im „Discothèque“- Gewand satt und kraftvoll aus den Boxen. Wer Bono auf der allgewaltigen Leinwand beobachtete, konnte es sehen: Tanzen kann er immer noch nicht. René Aguigah

29.7., Leipzig; 31.7., Mannheim; 18.8., Nürnberg; 20.8., Hannover