Augusto Pinochet und Leopoldo Galtieri, die Exdiktatoren Chiles und Argentiniens, genießen zu Hause Straffreiheit. Weil unter der Militärjunta aber auch Ausländer "verschwanden", darunter Spanischstämmige, will Spanien sie vor Gericht bring

Augusto Pinochet und Leopoldo Galtieri, die Exdiktatoren Chiles und Argentiniens, genießen zu Hause Straffreiheit. Weil unter der Militärjunta aber auch Ausländer „verschwanden“, darunter Spanischstämmige, will Spanien sie vor Gericht bringen.

Die Schuld soll nicht verschwinden

Joan Garcés erinnert sich noch heute gerne an die verwunderten Gesichter der Journalisten im Washingtoner Institute for Policy Studies. „Bald werden wir Pinochet vor einem Gericht erleben“, hatte der spanische Anwalt im Juli 1995 am Ende einer Pressekonferenz ganz nebenbei bemerkt. Und: „Der Kalte Krieg ist vorbei, das Monster hat seine Zeit überdauert, das Monster wird stürzen.“

Der ehemalige Berater Salvador Allendes, des Präsidenten der chilenischen Volksfrontregierung, war eigens aus Madrid angereist, um ein dünnes Bändchen und eine Kassette vorzustellen: das Protokoll eines 1975 geführten Gesprächs zwischen ihm und dem Verteidigungsminister Allendes, Orlando Letelier, über die Tage vor dem Militärputsch, der am 11. September 1973 General Augusto Pinochet an die Macht brachte.

Garcés, einer der wenigen Überlebenden des Überfalls auf den Präsidentenpalast in Santiago de Chile, hatte den Zeitpunkt der Veröffentlichung geschickt gewählt. Die chilenischen Gerichte hatten soeben Pinochets Geheimdienstchef Manuel Contreras zu sechs Jahren Haft verurteilt. Eines seiner bekanntesten Opfer war Orlando Letelier, der 1976 mitten im Washingtoner Diplomatenviertel einer Bombe zum Opfer fiel. „Aber Pinochet zur Rechenschaft ziehen?“ Die Journalisten im Washingtoner Institute for Policy Studies schüttelten ungläubig den Kopf und erinnerten Garcés an das Amnestiegesetz, mit dem die neue demokratische Regierung Chiles den Militärs Straffreiheit zusicherte; davon ausgenommen waren nur die Agenten des Geheimdienstes DINA.

Aber Garcés sollte recht behalten. Zwar lebt General Pinochet weiterhin unbehelligt in seiner Heimat. Aber im Juli 1996 ließ die Audiencia Nacional, der Madrider Sondergerichtshof für Terrorismus, Wirtschafts- und Staatsverbrechen, eine Klage des Vereins fortschrittlicher Anwälte aus Valencia, der Heimatstadt Joan Garcés', zu. Richter Manuel Garcia Castellón ermittelt seither wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Chile oder im Ausland von 1972 bis 1990 von Personen, die General Pinochet unterstanden, begangen wurden“. Schätzungen besagen, daß insgesamt 600.000 bis 800.000 Chilenen mit der Folter Bekanntschaft machten – 12 Prozent der Bevölkerung über 15 Jahre. Besonderes Augenmerk richtet Castellón bei seinen Ermittlungen auf acht Opfer spanischer Nationalität und Hunderte von Nachfahren spanischer Auswanderer.

Ein ähnliches Verfahren läuft in der Audiencia Nacional gegen argentinische Militärs. Der durch seine Ermittlungen gegen die „Antiterroristischen Befreiungsgruppen“ (GAL) auch über die Grenzen Spaniens hinaus bekannte Richter Baltazar Garzón beschuldigt unzählige Militärs, bis hinauf zum General und Ex-Staatspräsident Leopoldo Galtieri, in den Jahren der Militärdiktatur (1973–1983) 600 Spanischstämmige ermordet zu haben; die Gesamtzahl der Toten und Verschwundenen in Argentinien wird auf 30.000 geschätzt. Als Rechtsgrundlage dient Garzón und Castellón das vor knapp zwei Jahren eingeführte neue spanische Strafgesetzbuch, in dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausdrücklich nicht verjähren und weltweit verfolgt werden können.

Gegen die gleichen Beschuldigten geht dieser Tage in Italien ein Verfahren in die letzte Runde, das Mitte der siebziger Jahre eröffnet wurde. Das Team, das jahrelang den Fall des NS-Verbrechers Erich Priebke verfolgte, betreut die Ermittlungen im Falle der 600 italienischen Folteropfer. Obwohl die argentinische Regierung trotz wiederholter Amtshilfegesuche jegliche Zusammenarbeit mit der europäischen Justiz unter Berufung auf das „Gesetz des Schlußstrichs“ – das den Militärs Straffreiheit zusichert – ablehnt, zeigen die Bemühungen von Richter Garzón erste Auswirkungen. General Leopoldo Galtieri, der im März 1997 einer Vorladung der Audiencia Nacional nicht Folge leistete, wird per internationalen Haftbefehl gesucht und kann somit Argentinien nicht mehr verlassen, ohne Gefahr zu laufen, verhaftet und nach Spanien ausgeliefert zu werden. Dieses Los teilt er mit einem seiner Untergebenen, Hauptmann Alfredo Astiz. Der wird gleich von zwei Ländern gesucht: von Frankreich, das ihn 1990 wegen des Verschwindens zweier Nonnen in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilte, und von Schweden, wo er sich wegen des Foltertodes der 17jährigen Studentin Dagmar Hagelin verantworten soll.

Im Falle Chiles war ein Antrag auf Amtshilfe erst gar nicht nötig. Auf Initiative einer Gruppe demokratischer Kongreßabgeordneter erklärte sich die US-Staatsanwaltschaft Ende Juni 1997 bereit, alle ihre Erkenntnisse über Menschenrechtsverletzungen unter Pinochet für das Madrider Verfahren zur Verfügung zu stellen. Die Unterlagen wurden einst von CIA und FBI zusammengetragen, um im Prozeß wegen der Ermordung Leteliers in Washington als Beweismittel gegen die beschuldigten DINA- Agenten eingesetzt zu werden. So in die Zange genommen, versuchte das chilenische Militär, die Hauptbelastungszeugen durch hohe Entschädigungssummen zum Schweigen zu bringen. Jedoch ohne Erfolg. So schlug die Familie des spanischen UN-Funktionärs Carmelo Soria, der nach seiner Verhaftung 1976 zu Tode gefoltert wurde, eine Million US-Dollar aus. „Die Opfer können zwar vergeben, weil Vergeben eine zutiefst menschliche Fähigkeit ist, aber vergessen wollen und können sie nicht, sie fordern Gerechtigkeit“, so Joan Garcés.

Auch in Lateinamerika selbst wird es für viele Strategen des schmutzigen Krieges immer enger. Die Impunidad (Straffreiheit) im eigenen Land schließt die Verfolgung ausländischer Militärs nicht aus. So ermittelt die argentinische Justiz gegen ehemalige Mitglieder der chilenischen DINA. Sie hatten 1974 General Carlos Prat, einen der wenigen chilenischen Militärs, die sich dem Putsch Pinochets nicht anschlossen, in Buenos Aires ermordet. In Honduras sammelt der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung Material gegen argentinische Militärberater, die dort in den achtziger Jahren zusammen mit der CIA die nicaraguanischen Contras sowie das einheimische Militär ausbildeten.

„Verurteilungen in Abwesenheit wie in Frankreich oder Schweden sind in Spanien nicht möglich“, sagt Joan Garcés. Falls, wie im Falle Pinochets abzusehen ist, am Ende der Ermittlungen von Richter Castellón ein Strafverfahren eröffnet wird, kommt Pinochet um einen Auftritt vor Gericht nicht mehr herum, denn zwischen Chile und Spanien besteht ein Auslieferungsabkommen. Entweder Chile übergibt den General an die spanische Justiz, oder er muß in Chile mit Hilfe der von Castellón gesammelten Beweise zur Rechenschaft gezogen werden. „Die chilenischen Richter können das Verfahren am Ende unter Berufung auf das Amnestiegesetz einstellen. Aber das löst auf jeden Fall einen richtig großen internationalen Skandal aus“, ist sich Joan Garcés sicher. Reiner Wandler, Madrid