Alpträume von den reißenden Fluten

■ Odergebiet: Psychologische Betreuung für Flutopfer ist angelaufen

Berlin (taz) – Die Helfer sind in Katastrophensituationen geschult: Im Erkennen, wenn jemand kurz vorm Ausflippen ist, hin und her läuft, tausend Sachen anfängt und nichts zu Ende bringt. Das kommt vom Schock. Um eine solch „überaktive Reaktion“ zu bremsen, „da kann manchmal schon ein einfaches Kaugummi hilfreich sein“, erklärt Beate Coellen. Die Sozialpsychologin koordiniert im Brandenburger Innenministerium die seelische Betreuung der Flutopfer im Odergebiet. Fünfzig ehrenamtliche HelferInnen pro Schicht sind unterwegs, um den Einwohnern seelischen Beistand zu leisten.

„Bisher ist der Bedarf noch gering“, so Coellen. Die Flutgeschädigten übernachteten meist bei Verwandten und nicht in den Massenunterkünften. Dadurch wird viel Seelenleid abgefangen. Die Helfer seien mit den Verpflegungstrupps unterwegs, „so kommen sie mit den Leuten ins Gespräch“. Zur Unterstützung der Ehrenamtlichen hat das Innenministerium eine Notfallnummer eingerichtet, unter der hauptberufliche Psychologen alarmiert werden können. Bisher blieb der Anschluß noch ruhig.

Die seelischen Wunden werden nicht so schnell verheilen, glaubt Coellen. „Alle erleiden ein Trauma. Die Leute werden mit etwas konfrontiert, wovon sie dachten, daß es sie nie treffen könnte. Die haben bisher immer nur erlebt, daß es andere erwischt.“ Und jetzt sind sie plötzlich selbst im Fernsehen.

Die Erfahrungen mit anderen Katastrophen zeigten, daß sich erst Wochen danach die Langzeitschäden einstellten, so die Expertin. Die Leute behalten nicht nur ihre Alpträume, „sie bekommen auch psychosomatische Probleme, so daß man zuerst denkt, der Magen ist wirklich kaputt“.

Die Psyche war auch der Grund, warum sich viele Leute erst spät evakuieren lassen wollten. „Da gibt es eine Verlustangst, die Leute verdrängen die Gefahr. Da muß man schon mit dem Fuß im Nassen stehen, damit daß Gehirn meldet: Aha, hier ist eine Gefahr.“

In Tschechien ist alles schlimmer. In Olmütz hat die Stadtverwaltung jetzt eine holländische Psychologin zu Hilfe geholt. Hier, wo mehrere hundert Häuser vom Wasser völlig zerstört wurden, sollen die einheimischen Sozialbetreuer jetzt von den Holländern lernen, wie man ein psychosoziales Netzwerk für die obdachlosen Flutopfer aufbaut. „Das Trauma wird sich in drei bis vier Wochen noch vertiefen“, glaubt Sonja Horka von der Abteilung für internationale Zusammenarbeit in Olmütz. „Mit solch einem Hochwasser hat niemand gerechnet.“ Die Sozialbetreuer vor Ort sähen ihre Hauptaufgabe darin, in den Betroffenen wieder „Hoffnung zu erwecken“. Die Leute in den Überschwemmungsgebieten lebten zum Teil schon seit vielen Generationen dort. „Die halten auch zusammen.“ Barbara Dribbusch