Mein erstes Mal

■ Heute: Christian Schuldt, freier Autor für die "taz Hamburg", über Minneleid, Turnmattenduelle, kalte Herzen, kurz, über die erste Liebe

Jüngling, fühle in der Brust/ Minnelied und Minnelust (H.Hesse)

Hach ja, hätte man doch in jungen Jahren ein Auge für den tradierten Charakter solch emphatisierender Worte gehabt - manch ungute Erfahrung der Erstmaligkeit wäre einem vielleicht erspart geblieben. Andererseits ist jedes erste Mal doppelt ambivalent. Erstmal ist es zugleich auch das letzte Mal (des ersten Mals), und das wiederum bedeutet Positives und Negatives zugleich: ein negativ erlebtes erstes Mal kann durch sein positives Überstandensein fast schon gut werden.

So verhält es sich auch mit jener autobiographischen Reminiszenz, die hier schonungslos offengelegt werden soll. Es handelt sich, wie aus dem obigen Vers ersichtlich, um eine Initiationserfahrung mit der Semantik der Liebe - oder dessen, was nicht dazu zählt. Die erstmalige Erkenntnis, daß Liebe nicht tatenwütig errungen wird, etwa im Jungs-die-Mädchen-Spielen oder Liebesbekenntnisse-an-die-Tafel-Kritzeln.

Derartig handlungsbetonte Werbungsmethoden schienen jedoch bei jenen ersten Amourösitäten umso mehr angebracht, als sie ein hartnäckiger Nebenbuhler ebenfalls praktizierte. Das Objekt der doppelten Begierde zeigte sich davon zwar eher unberührt, aber auch nicht so sehr, daß die Hoffnungen beider Anwärter nicht weiter genährt worden wären. Man übte sich also in einer infantilen Version klassisch-idealistischer Liebeskommunikation, inklusive der Paradoxien des Werbens und Umworbenwerdens.

Dabei mutierte jedoch die vermeintliche Erkenntnis, daß in Liebesdingen eine Art Survival of the Fittest angezeigt sei, zu einem obersten Prinzip. So glaubten die Rivalen ihre Ansprüche in einem ritterlichen Mann-gegen-Mann-Kampf klären zu können. Es traf sich, daß im Grundschulsportunterricht die archaische Tradition herrschte, derartig Gladiatorisches von Zeit zu Zeit offiziell auszufechten: Zwei schlugen sich auf der Turnmatte, der Rest feuerte an. Diesen unbarmherzigen Kampf um das Herz der Umworbenen konnte der Verfasser dieser Zeilen zwar für sich entscheiden - die erhoffte Reaktion von Seiten der Umgarnten jedoch blieb natürlich aus und der implizite Preis für den lebensmüden Einsatz wurde bis heute nicht zuerkannt. Auch buhlte der Konkurrent munter weiter und alles war beim alten.

Und auch nicht. Denn schließlich offenbarte sich zum ersten Mal die Moral von der Geschicht': Liebe fragt nach martialischen Taten nicht. Und: Liebe liebt die Geschicht' - denn woraus speisten sich die mediävalen Anflüge, wenn nicht aus medial vermittelten Recyclings traditioneller Liebesromane und -poeme? Der erstmalige Versuch, die Gunst eines weiblichen Wesens minneleidig und -lustig über Kampfeskunst zu erobern, endete also eher ungut. Gut aber, daß es damit zugleich das letzte Mal war. Christian Schuldt