Kinders, seid Ihr noch zu retten?

■ Die Kinderkriminalität in Bremen ist drastisch gestiegen. Die Mittel für Vorbeugemaßnahmen sind seit 1990 jedoch fest eingefroren / Neu: Immer mehr Mädchen werden gewalttätig

Immer mehr Kinder mischen in Bremen bei Straßenüberfällen mit. Laut polizeilicher Kriminalstatistik des Landes Bremen ist die Zahl der ermittelten tatverdächtigen Kinder bei Gewaltaten seit 1992 von 11 auf 62 gestiegen. Dabei steigt tendenziell der Anteil von Mädchen an kriminellen Gewalttaten. Das sagt Dr. Arno Richard von der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Zentralkrankenhauses Ost.

Erst vor wenigen Tagen wurden zwei 18 und 19 Jahre alte Männer in den Wallanlagen von drei Kindern ausgeraubt. Die Polizei glaubt, einen 12jährigen als Täter erkannt zu haben. Aus Tenever, Huchting und Kattenturm melden Sozialarbeiter Kämpfe zwischen Kinder- und Jugendcliquen, in Huchting prügelt eine Mädchenbande mit.

„Wir stehen der Kinderkriminalität eigentlich hilflos gegenüber“, sagt Michael Schwarz, Leiter der Jugendhilfe beim zuständigen Senat. „Die Täter werden nicht nur immer jünger,“ergänzt Arno Richard von der Kinder-und Jugendpsychiatrie, „immer mehr Mädchen schlagen zu.“Mädchen seinen häufig selbst Opfer von männlicher Gewalt und hätten nun Gewalt akzeptiert als Möglichkeit, sich durchzusetzen, erklärt der Psychiater.

Über die Ursachen der steigenden Kinderkriminalität streiten sich die Experten. Allgemeiner Verfall der Werte, Armut und Verelendung, Verrohung durch Medien, inkompetente Eltern und allgemeiner Kulturpessimimus werden, je nach politischer Ausrichtung der Erklärenden, als mögliche Ursachen angeboten. „Wahrscheinlich ist es von allem ein bißchen“, vermutet Michael Schwarz von der Jugendhilfe. In einer aktuellen Erklärung der Jugendminister der Länder wird unter anderem gesellschaftliche Ausgrenzung für die Desorientierung einiger Kinder verantwortlich gemacht. Die Konferenz fordert, daß im Umgang mit Kindern Vorbeugemaßnahmen Vorrang vor Bestrafung eingeräumt werden soll.

Werden Kinder bis zu 14 Jahren straffällig, können sie strafrechtlich nicht belangt werden. Bei älteren Straftätern wird in Bremen automatisch die Jugendgerichtshilfe tätigt. Sie beschäftigt sich mit den Schicksalen der Kinder und versucht individuelle Lösungsmöglichkeiten für ihre Probleme zu finden.

So kann bei Kindern und Jugendlichen über 14 Jahren nach alternativen Bestrafungsmöglichkeiten gesucht werden. „Der Aspekt der Wiedergutmachung steht im Fordergrund“, sagt Michael Schwarz, „etwa wenn Delinquenten in betreuten Werkstätten die Sachen reparieren, die sie zerstört haben.“Aber, so Schwarz, wenn sich Kinder Gesprächen oder Angeboten entzögen, gäbe es keine Möglichkeit, an sie heranzukommen. „Kinder“, sagt Schwarz, „werden heute mit Verhaltensweisen konfrontiert, mit denen früher erst Jugendliche in Kontakt kamen. Schule, Eltern, Sportvereine und kommunale Einrichtungen müßten Kindern Orientierung geben.“

Heidemarie Rose vom Senat für Jugend sieht einen direkten Zusammenhang zwischen mangelnder Bildung und Kriminalität. „Wir kümmern uns in Zusammenarbeit mit dem Bildungssenat gerade um die Schulabbrecher und versuchen ihnen sowohl einen Schulabschluß zu vermitteln, als ihnen auch eine berufliche Chance zu geben. Aber unsere Mittel sind begrenzt.“In Bremen wären in den letzten zwei Jahren zwar keine Einrichtungen der Jugendhilfe geschlossen worden, meint Michael Schwarz, aber seit 1990 seien entsprechende Gelder eingefroren.

Im Gegensatz zum Land Berlin, indem automatisch ein fester Prozentsatz des jeweiligen Haushaltes für die Kinder- und Jugendhilfe ausgewiesen wird, ist in Bremen der Titel für die Jugendhilfe nicht festgeschrieben. Er wird, je nach Haushaltslage und politischem Interesse bestimmt, darauf weist die jugendpolitische Sprecherin der Grünen, Maria Spieker hin.

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