Kids lernen weiterhin Kuss statt Kuß

■ Für Berliner Schüler bleibt es bei der Rechtschreibreform. Bisher keine Klagen. Nur Schulbuchverlage beunruhigt

Nach den beiden Verwaltungsgerichtsentscheidungen in Hessen und Thüringen zur Rechtschreibreform verändert sich in Berlin für die SchülerInnen zum Schulanfang nichts. Beim Schulbuchverlag Cornelsen dagegen herrscht große Unsicherheit: Als der Verlag am Dienstag von der Entscheidung erfuhr, daß die Umsetzung der umstrittenen Rechtschreibreform in Hessen vorerst gestoppt ist, „waren wir alle wie gelähmt“, sagt Sprecherin Michaela Jahnz. Denn der Wilmersdorfer Verlag hat als einer der größten Schulbuchverlage bisher bereits 10 Millionen Mark in die Neu- und Überarbeitung von Schulbüchern gesteckt, so Jahnz. Von den insgesamt 6.000 Schulbuchtiteln seien schon 1.000 bearbeitet worden. Nach der gestrigen Thüringer Entscheidung, die im Gegensatz zum Verwaltungsgericht in Wiesbaden den Eilantrag einer Mutter gegen die Reform abgelehnt hat, herrsche jetzt zwar wieder Optimismus. Aber: „Das Schlimmste wäre ein totaler Stopp in allen Bundesländern“, sagt Jahnz. Das wäre nicht nur für Cornelsen, sondern auch für kleinere Verlage eine „wirtschaftliche Katastrophe“.

Doch zumindest in Berlin braucht der Verlag nicht zu befürchten, daß die neuen Schulbücher derzeit eingestampft werden müssen: Nach Angaben von Rita Hermanns, Sprecherin der Schulverwaltung, gibt es keine gerichtlichen Klagen von Eltern. Die Wiesbadener Entscheidung habe keine Auswirkungen auf die Hauptstadt. Das bestätigt auch Hans-Hermann Wilke, Vorsitzender des Landeselternausschusses: „Es war im letzten Schuljahr nicht erkennbar, daß die Rechtschreibreform die Eltern sehr bedrückt.“

So wird bei Schulanfang am nächsten Montag alles seinen gewohnten Gang gehen: Die jetzigen Zweitkläßler, die bereits im vergangenen Schuljahr von den LehrerInnen die ersten Worte in der neuen Rechtschreibung beigebracht bekommen haben, lernen auch weiterhin, daß „Kuß“ und „muß“ zukünftig mit ss statt mit ß geschrieben wird. Ebenso wie die Erstkläßler, die nächsten Samstag eingeschult werden. Die Älteren können in der Übergangszeit bis 2005 beide Formen benützen. Wilke zieht für das erste Jahr sogar ein positives Resümee: „Es gibt erste Hinweise darauf, daß die Schüler besser lernen und der Fehlerquotient sinkt.“

Obwohl das Wiesbadener Verwaltungsgericht befunden hatte, daß für die Einführung der Reform in Hessen ein förmliches Gesetz notwendig sei, will man sich politisch nicht mehr mit den neuen Rechtschreibregeln auseinandersetzen. So werde laut Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) keine entsprechende Initiative im Senat und Abgeordnetenhaus gestartet, sagte Hermanns. Auch die bündnisgrüne schulpolitische Sprecherin Sybille Volkholz hält es nicht für notwendig, daß sich das Abgeordnetenhaus mit dem Thema auseinandersetzt: „Das ist verfehlt und überflüssig.“ Sie hofft, daß der Beschluß in Hessen von der nächsten Instanz, dem Oberverwaltungsgericht, kassiert wird. Julia Naumann

Siehe auch Bericht Seite 4