■ In Palästina wird die Korruption öffentlich angeprangert
: Mißtrauensvotum gegen Arafat

Das palästinensische Parlament wird rebellisch. Die Abgeordneten debattieren einen Bericht über Korruption und Mißwirtschaft in der Autonomiebehörde, ein Untersuchungsausschuß fordert gar den Rücktritt der Regierung. Die ungeheuerlichen Vorwürfe – die Millionenverluste machen immerhin

40 Prozent des gesamten Budgets aus – würden in jedem anderen Land der Welt zu einem Mißtrauensvotum gegen den Regierungschef führen. Nicht so in Palästina. Der Ausschuß zog eine feinsäuberliche Linie zwischen dem Chef der Autonomiebehörde, Jassir Arafat, und seinen Ministern. Doch jeder weiß, bei wem die Verantwortung letztendlich liegt, auch wenn Arafats Name in dem Korruptionsbericht nicht auftaucht.

Das Ereignis ist nicht nur ein Novum für Palästina, sondern auch beispielhaft für die arabische Welt, die immer noch von diktatorisch herrschenden Regimes geprägt ist, in denen Repression, Begünstigung und Korruption im großen Stil an der Tagesordnung sind. Dies ist auch der persönliche Hintergrund von Arafat, der nicht nur Chef der Autonomiebehörde ist, sondern auch Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation, die ein jahrzehntelanges Exil in eben solchen Ländern hinter sich hat. Demgegenüber entwickelten viele Palästinenser in der Westbank und dem Gaza-Streifen auch aus Reibung an und der Nähe zum Staat Israel demokratische Erwartungen an ihre eigene Regierung.

Vor diesem Hintergrund kommt die Empfehlung des Ausschusses dennoch einem Mißtrauensvotum gleich. Zwar enthält der Korruptionsbericht Mängel und klammert zentrale Fragen wie die Existenz der zahlreichen Geheimdienste und die Vergabe von Wirtschaftsmonopolen aus. Doch sein wichtigstes Ergebnis – und dies ist entscheidender als die Forderung nach dem Rücktritt der Regierung – liegt darin, daß nun endlich öffentlich über die Korruption in der palästinensischen Verwaltung debattiert wird, Summen und Namen genannt werden. Kritische Journalisten und Wissenschaftler können künftig nicht mehr so einfach willkürlich hinter Schloß und Riegel verschwinden, wenn sie das anprangern, worüber es sogar offizielle Untersuchungsberichte gibt. Somit handelt es sich um einen Sieg derer, die sich für demokratische Verhältnisse stark machen, über jene, die dem alten Denken und Handeln arabischer Bürokratien verhaftet sind. Beate Seel