Knastnachlaß für Ex-Terroristen

■ Ein Gesetzentwurf über Haftverkürzung sorgt in Italien für Aufregung. Nicht nur Politiker, auch Opfer machen mobil

Rom (taz) – Kaum daß Toni Negri, ehemals Theoretiker der Studentenrebellion und zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt, aus dem Pariser Exil in Italiens Gefängnisse zurückkehrt ist, hat im Parlament eine Debatte über eine veränderte Behandlung der Bleiernen Jahre begonnen. In den 70er Jahren hatte Italien seine Strafen für Terroristen drastisch erhöht. Viele wurden zu langer Haft verurteilt, selbst wenn sie keine Bluttaten begangen hatten. An die 300 Links- und Rechtsterroristen sitzen derzeit noch ein, etwa 30 sind zu „lebenslänglich“ verurteilt.

Der von der Justizkommission nun behandelte Vorschlag sieht vor, die lebenslängliche Strafe in 21 Jahre Haft umzuwandeln und bei allen Strafen eine Art Nachlaß einzuführen. So sollen von zehn Jahren nur noch fünf abgesessen werden. Ausgenommen von der Vergünstigung sollen lediglich Verurteilungen nach dem „Massaker“- Paragraphen sein, Sprengstoffattentate und Schüsse in Demonstrationszüge. Damit wäre ein erheblicher Teil rechtsterroristischer Straftäter ausgeschlossen. Sie haben in der Regel nicht gezielt auf Personen geschossen, sondern mit Dynamit Terror gesät.

Ob der Gesetzentwurf das Parlament passieren wird, ist fraglich. Er gilt als eine Art Amnestiegesetz und muß daher die Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten von Senat und Abgeordnetenkammer erhalten. Doch schon hat die Rechtsopposition einen harten Kampf angekündigt, obwohl viele ihrer Mitglieder das Problem einer Beendigung der Notstandsgesetzgebung anerkennen.

Auch in der Regierungsmehrheit gibt es zahlreiche Stimmen, die gegen einen solchen Akt sind. Die Volkspartei, die zur Mitte- links-Allianz gehört, hat bereits ihr Nein angedroht. „Amnestien“, so ihr rechtspolitischer Sprecher Sergio Mattarella, „kommen erst dann in Frage, wenn die Taten ganz aufgeklärt sind – und das ist bis heute nicht der Fall.“ Tatsächlich hat etwa die Entführung und Ermordung von Ministerpräsident Aldo Moro 1978 bis heute viele unaufgeklärte Seiten.

Vorsichtig optimistisch äußern sich die Sprecher ehemaliger linksterroristischer Gruppen. Der Gründer der Roten Brigaden, Renato Curcio, zu 44 Jahren verurteilt und nach Abbüßung von mehr als 20 Jahren derzeit im Tages- Freigang, sieht „einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung“. Auch sein Ex-Genosse Alberto Franceschini atmet auf: „Offenbar wird sich nun auch die bürgerliche Gesellschaft darüber klar, daß die Zeit des Terrorismus seit mehr als einem Jahrzehnt überwunden ist, und zwar mit einer Niederlage des bewaffneten Kampfes.“

Gleichzeitig mobilisiert sich außerhalb des Parlaments bereits eine starke Gegenbewegung. Opfer des Terrorismus und Angehörige Ermordeter kündigten starken Widerstand gegen jede Art von „Nachgiebigkeit oder Ablaßhandel“ an. Und dieses, „solange der italienische Staat es nicht einmal ansatzweise fertigbringt, für diejenigen zu sorgen, die von den Terroristen zu Krüppeln gemacht wurden oder ihre Angehörigen verloren haben“, wie ein Kommuniqué des Dachverbandes der Organisationen von Opfern des Terrorismus betont. Tatsächlich haben die meisten Opfer kaum Schadensersatz erhalten.

Viele Kommentatoren weisen darauf hin, daß der Zeitpunkt für einen „Abschluß“ jener Periode zwar gekommen sei. Dennoch sei der derzeitigen Augenblick nicht günstig. „Das alles riecht nach einer Lex Toni Negri“, meint Indro Montanelli, Nestor der italienischen Journalistengilde. Toni Negri, so der Verdacht, habe seine pathetisch zelebrierte Rückkehr aus dem Pariser Exil nur deshalb durchgeführt, weil ihm namhafte Politiker heimlich eine Amnestie versprochen hatten – eigentlich müßte er noch an die fünf Jahre absitzen. Andere Terrorismusexperten, wie der Autor Giuseppe De Lutiis, befürchten, daß es „wieder knallen könnte“. „Das war schon oft so. Und dann war die Debatte vorbei.“ Werner Raith