Durchs Dröhnland
: Das musikalisch Substantielle am Erfolg

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Zu einer Zeit, als Papa Joe in der geneigten Presse noch kein handgreiflicher Familienmonarch, sondern nur „ein ehemaliger Kranführer“ war, als der talentierteste Sohnemann Michael noch fest zum Familienclan stand und der wahnwitzige Erfolg von „Thriller“ noch Jahre entfernt war, damals, 1977, beschrieb das beim Berliner Musik-Verlag „VEB Lied der Zeit“ erschienene „Beat-Lexikon“ den Stil der Jackson Five so: „Die Mischung aus kindlicher Unschuld und perfektem Show-Arrangement trägt dazu bei, das Selbstbewußtsein der farbigen Jugendlichen zu fördern. Ihre erfolgreichen Titel sind musikalisch substantiell, eindrucksvoll im Wechsel zwischen Chor und Vorsänger, beachtenswert in den Klangfarben, formal vollendet und entsprechen besten Traditionen des R&B und Soul.“ Scheint fast so, als hätte sich Michael Jackson zumindest musikalisch nicht allzuweit von seiner Kindheit entfernt. Und den Rest interessiert sowieso niemand, jedenfalls nicht die paar zehntausend, die heute dann doch natürlich wieder ins Olympiastadion pilgern werden, um „HIStory“ mitzuerleben.

1.8., 19 Uhr, Olympiastadion

Die schönste Szene des jüngsten, völlig zu Recht untergegangenen Films von und mit Helge Schneider war die allerletzte. Die Titel liefen schon, die Kamera stand in der oberen Ecke eines kleinen Zimmers, und langsam tröpfelte eine Band herein, um den Meister bei einer Improvisation zu unterstützen. Was da vor sich hindudelte, ganz gemütlich und ohne Hektik, völlig entspannt und liebevoll verspielt, war Jazz, wie man ihn heute kaum noch hört, ungefähr an der Nahtstelle, als das Genre die Massenwirksamkeit verlor und sich beleidigt in den Elfenbeinpalast zurückzog.

Doch die Menschen, die die sechs Berliner Auftritte Schneiders und seiner Kapelle füllen werden, dürften zum großen Teil nicht wegen der Musikalität kommen. „Katzeklo“ wollen die Leute hören oder „Fitze Fatze“, aber Schneider kontert sein Publikum immer wieder geschickt aus, indem er nie einen Song zweimal auf dieselbe Art und Weise spielt. Der Mann hat ein untrügliches Gespür, Erwartungshaltungen nicht zu erfüllen. Andererseits enttäuscht er auch niemanden (bestenfalls in seinen Filmen, die manchmal zu langatmig geraten), niemandem ist er zu platt, aber auch niemandem zu hochtrabend. Irgendwie muß jeder lachen, ein Konsensphänomen ohne den unangenehmen Geruch des Mainstreams.

1.8.–6.8., Arena, Eichenstr. 4

Er spielt nur noch manchmal in irgendwelchen obskuren Kneipen, schließlich ist er nicht mehr der Jüngste. Aber alle Jahre wieder, wenn es runde Geburtstage zu feiern gibt, organisiert Jacky Spelter sich und seinen Jacky & the Strangers noch einmal die große Party. Diesmal wird der Mann, bei dem die Beatles in seligen Hamburger Zeiten als Vorgruppe aufliefen und dem Elvis höchstselbst zu einem Auftritt gratulierte, siebzig Jahre alt. Hier ist der Rock 'n' Roll so original, originaler geht's nicht. Die ganzen alten Kamellen gelangen zur Aufführung, ein wenig Hawaiigitarre, aber ansonsten unbeleckt von jeglichem neumodischem Schnickschnack wie etwa Beatmusik. Mitfeiern werden Bob Dobberstein & the Four Dobs und Die Gabys.

1.8., 20.30 Uhr, Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Straße 141

Daß HipHop live gespielt wird, daran hat man sich inzwischen gewöhnt, auch wenn die Ergebnisse, wie unlängst von Sabrina Setlur und ihrer Muckerband demonstriert, des öfteren weit hinter der Konserve zurückbleiben. Bei Techno hat dieser Blödsinn noch nicht so um sich gegriffen, bestenfalls an den ausgefransten Rändern tut sich was, wie es Tortoise oder hierzulande die To Rococo Rot-Kreidler-Connection vorspielen. Paloma nun widmen sich der ehrenhaften Aufgabe, auch im Techno das alte Frontalerlebnis wieder einzuführen. Das aus studierten Musikussen aus Berlin bestehende Duo produziert mit Bass, Schlagzeug und Elektronik einen Sound, der zwar im üblichen Stakkato nach vorne geht, es aber des öfteren an Tiefe vermissen läßt. Die beiden sind an diesem Abend aber nur Teil eines auf zwölf Stunden angelegten Abends des „Raumschiffs Zitrone“, bei dem K. Pelle, Triplum und die DJs M.M. Noir, Paul und Astrid die restliche Beschallung übernehmen werden. Ausleuchten wird das Ganze Heike Maria Unvorstellbar.

1.8., 18 Uhr, Wawavox, Kastanienallee 77

Man vergißt es leicht, aber ganz normale Rockmusik hat durchaus noch ihr Publikum. Das mag zwar schon meist über 30 sein und freut sich alle Jahre wieder auf die neue Stones-Platte, aber es finden sich dann doch noch immer ein paar jüngere Menschen, die so was spielen wollen. Allerdings kann man Freddy's Dinner nicht gerade nachsagen, man würde die alten Klischees, die Sache mit dem Sex und den Drogen und dem Rock 'n' Roll also, aus ihrer Musik wirklich heraushören. Das Tempo bleibt zumeist gemäßigt, eingängige Melodien werden mit klassischen Gitarrenriffs unterlegt. Solider Rock mit deutschen Texten, der zwar gerade noch die Kurve kriegt, nicht mit Lage, Maffay und Konsorten in einem Topf zu landen, aber – so haben sich nun mal die Zeiten geändert – einen eher an die Rente, denn an Revolution denken läßt.

6.8., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Eintritt frei!

Der Sommer ist, falls er die angemessenen Temperaturen hat, die Zeit für Salonmusik, irgend etwas Entspanntes, zu dem man irgendwas Gepflegtes trinken und ein irgendwie wohltemperiertes Gespräch führen kann. Deshalb sind Lord Alvis and the Upper Crust erste Wahl, denn die großen Gefühle sind zwar im Angebot, aber werden ganz dezent und leise dahergespielt. Unschnulzige Schnulzen, ein schicker Anzug, eine gelockerte Krawatte, Frank Sinatra ist nicht tot. Showtreppe müßte noch sein.

6.8., 21.30 und 23 Uhr, Junction Bar, Gneisenaustraße 18 Thomas Winkler