Als Zeuge beim „Volkstribunal“ gegen Pol Pot

■ Bericht über den Prozeß gegen den ehemaligen Führer der Roten Khmer

Bangkok (taz) – „Dort saß er, zusammengesunken auf einem einfachen hölzernen Stuhl, in der Hand einen langen Bambusstab und einen Fächer, ein verängstigter alter Mann, schwach und um seine Würde ringend, und sah zu, wie die Visionen seines Lebens in einer absoluten und letzten Niederlage zerrannen.“ So beschreibt der US- amerikanische Journalist Nate Thayer seinen ersten Eindruck von dem Mann, dessen Name in der ganzen Welt mit dem Schrecken des kambodschanischen Völkermordes verbunden ist: Pol Pot, der „Bruder Nr. 1“ der Roten Khmer, unter dessen Herrschaft zwischen 1975 und 1979 über eine Million Menschen ums Leben kamen.

Thayer war es am 25. Juli gelungen, in den abgeschiedenen und schwer verminten Stützpunkt Anlong Veng der Roten Khmer nahe der thailändischen Grenze vorzudringen. Damit war er seit achtzehn Jahren der erste unabhängige Beobachter, der Pol Pot zu Gesicht bekam. Was er aber nicht vorausgeahnt hatte, war, daß er „Zeuge der Geschichte“ werden würde, wie er in der gestern erschienenen Hongkonger Far Eastern Economic Review berichtet. Denn seine „Gastgeber“ bei den Roten Khmer hatten ein besonderes Spektakel vorbereitet: ein „Volkstribunal“ gegen ihren Führer, der die Organisation seit über einem Vierteljahrhundert aus dem Dschungel – und weniger als vier Jahre aus Phnom Penh – beherrscht hatte.

Das Publikum bestand aus alten Frauen, Kindern, versehrten Männern, Soldaten und Dorfbewohnern, die nach Aufforderung rhythmisch alles riefen, was ihnen vorgegeben wurde: „Zerschlagt sie! Zerschlagt sie! Zerschlagt Pol Pot und seine Clique!“ oder auch so griffige Slogans wie „Lang lebe das Entstehen einer demokratischen Bewegung!“. Das Urteil gegen Pol Pot und drei jüngere Kommandanten: lebenslänglich Hausarrest für die „Verbrechen gegen die Nation und Patrioten“.

Es war offensichtlich kein Zufall, daß die Kontaktleute bei den Roten Khmer den langjährigen Kambodscha-Korrespondenten just an diesem Tag nach Anlong Veng geschleust hatten. Sie brauchten einen Zeugen, der ihre Botschaft in alle Welt tragen würde: Pol Pot ist am Ende, die Roten Khmer gibt es nicht mehr. Eine neue Generation hat die Kontrolle übernommen, die angeblich nichts mit den Grauen der Vergangenheit zu tun hat: „Wir verurteilen alle, die Verbrechen begangen haben, die nicht richtig waren“, sagt der etwa 50jährige General Im Nguon, der als neuer Militärchef vorgestellt wird. „Damals habe ich keine Verbrechen begangen, nur Pol Pot und einige seiner engen Vertrauten. Jetzt sind sie weg, und Pol Pot ist verhaftet.“

Die Gesprächspartner Thayers in Anlong Veng bestätigen den schon länger vermuteten Grund für den letzten Machtkampf und den „Prozeß“ gegen Pol Pot: Seitdem der ehemalige Außenminister Ieng Sary im vergangenen August einen Waffenstillstand mit der Regierung in Phnom Penh ausgehandelt hatte, waren auch in Anlong Veng immer mehr Rote Khmer kriegsmüde. Pol Pot war schließlich der letzte, der sich gegen Verhandlungen wehrte. Aus gutem Grund – er konnte niemals auf Straffreiheit hoffen.

Hinter seinem Rücken begann sein ehemaliger Sicherheitschef Son Sen mit Prinz Norodom Ranariddh zu verhandeln, der damals noch Premierminister in Phnom Penh war. Pol Pot ließ Son Sen und seine Familie brutal ermorden. Doch dann wandten sich seine eigenen Leute gegen ihn, verhafteten ihn und verhandelten weiter. Am 4. Juli war das Abkommen zwischen dem langjährigen Vertrauten und ehemaligen Staatschef der Roten Khmer, Khieu Samphan, und dem Abgesandten des Prinzen perfekt. Die von Pol Pot abgefallenen Kräfte glaubten sich ihrem Ziel nahe: zusammen mit dem Prinzen gegen den zweiten Premierminister Hun Sen zu kämpfen, den sie als „Marionette Vietnams“ hassen. Vietnam hatte 1979 dem Terrorregime der Roten Khmer durch eine Intervention ein Ende bereitet. Doch Hun Sen kam ihnen zuvor: Er putschte am 5. Juli und vertrieb seinen Kopremier aus dem Amt. Jutta Lietsch