Hohe Strafe für Politbüromitglieder verlangt

■ Staatsanwaltschaft fordert für Ex-SED-Chef Krenz elf Jahre, für Mitangeklagte neun und siebeneinhalb Jahre Haft. Sie hätten Unrecht politisch in Kauf genommen

Berlin (taz) – Egon Krenz erwartet eine langjährige Haftstrafe, sollte das Berliner Landgericht dem Strafmaß der Staatsanwaltschaft folgen. Für den früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden und SED-Parteichef forderte die Staatsanwaltschaft gestern elf Jahre. Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz warf Krenz Totschlag in einem und gemeinschaftlichen Totschlag in drei Fällen vor. Für die beiden Mitangeklagten Günter Schabowski und Günther Kleiber verlangte er neun beziehungsweise siebeneinhalb Jahre Haft. Beide hielt die Staatsanwaltschaft des gemeinschaftlichen Totschlags in drei Fällen für schuldig.

Die Angeklagten hätten gewußt, daß die Tötung von Flüchtlingen an der Mauer und der Grenze Unrecht gewesen sei. Dieses Unrecht hätten sie aus politischen Gründen in Kauf genommen. In seinem mehrstündigen Schlußplädoyer ging Jahntz die Angeklagten mit zum Teil scharfen Worten an. Die Tötung von Flüchtlingen verglich er mit einer „standrechtlichen Vollstreckung der Todesstrafe“. Die Argumentation der Angeklagten, die DDR habe die Lage an der Grenze nicht ohne Zustimmung der UdSSR grundlegend ändern können, nannte Jahntz eine „Schutzbehauptung“. So habe die DDR 1983/84 die Minen an der Grenze eigenmächtig abgebaut. Ausführlich widmete sich Jahntz der Stellung des SED-Politbüros im DDR- System. Das Gremium sei die „heimliche Regierung“ gewesen, das nicht nur über Versorgungsmängel beraten, sondern auch über die Auswahl der Militärkader befunden habe. So seien auch die jährlichen Politbüro-Beschlüsse zur Sicherung der Grenze in die militärischen Befehle für die DDR-Grenztruppen übernommen worden.

Die Darstellung des ehemaligen Berliner SED-Bezirkschefs Schabowski und des Wirtschaftsexperten Kleiber, sie seien nicht im Detail über Fluchtversuche informiert worden, wies Jahntz zurück. Sowohl über die Umlaufmappen für das Politbüro als auch über westliche Medien seien sie im Bilde gewesen. Jeder, sowohl in der DDR wie in der Bundesrepublik, hätte gewußt, daß an der Grenze geschossen wurde. Davon hätten die Angeklagten spätestens 1988 Kenntnis gehabt, als die DDR offiziell einräumte, daß der Schießbefehl nicht mehr bestehe. Krenz hatte zuvor in einer Verhandlungspause erklärt, im Prozeß sei ein Tötungsbefehl nicht nachgewiesen worden. Die Staatsanwaltschaft versuche vielmehr, das Politbüro als „Bande von Kriminellen“ darzustellen. Seine „Lebensniederlage“ sei es gewesen, die Todesfälle an der Mauer nicht verhindert zu haben. Severin Weiland