Gefühl und Härte

■ Frankreich: Jospin will ein liberales Asylrecht

Jedesmal, wenn in den vergangenen Jahren irgendwo in Europa ein neues „Ausländergesetz“ diskutiert wurde, war das synonym für den Wunsch nach „Verschärfung“, „mehr Kontrolle“ und „weniger Rechte für Immigranten“. Die dahintersteckende Gleichung von „Ausländer“ – wozu vielerorts auch im Inland geborene und aufgewachsene Menschen gezählt werden – und „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ hatte sich grenzüberschreitend in den Köpfen festgesetzt.

Diese gefährliche Dynamik, die Immigranten zu Sündenböcken macht und in einem Atemzug mit Kriminalstatistiken nennt, hat der Weil-Report, der gestern in Paris veröffentlicht wurde, durchbrochen. Erstmals wagte es eine Kommission im Regierungsauftrag, die Immigration als ganz normales Politikfeld zu behandeln. Und erstmals traute sie sich, den Asylbegriff auszuweiten, statt ihn einzuschränken.

Dieser Versuch, die Immigrationsdebatte von den üblichen Leidenschaften und Ängsten zu befreien, ist nicht nur das Verdienst des Sozialwissenschaftlers Weil, sondern auch das Resultat eines Stimmungswandels in Frankreich. Dort hatten zu Jahresanfang Hunderttausende mit Demonstrationen und Petitionen eine neue Ausländerpolitik gefordert. Auch vor diesem Hintergrund kam im Juni die rot- rosa-grüne Regierung an die Macht. Sie sah sich genötigt, schnell den an sie gerichteten hohen Erwartungen zu entsprechen. Die Eile, mit der die Regierung neue Immigrations- und Staatsangehörigkeitsgesetze vorbereitet, hat noch einen zweiten Grund: 1998 stehen Kantonalwahlen an, aus denen die Sozialisten das Immigrationsthema unbedingt heraushalten wollen.

Übereilte und von Wahlüberlegungen bestimmte Immigrationsdebatten haben in den vergangenen Jahrzehnten zu dem Dschungel von repressiven Gesetzen und Dekreten geführt, aus denen die Weil-Kommission in einem knappen Monat Auswege vorschlagen sollte. Dabei ist sie weit vorgeprescht. Aber vor der grundsätzlichen Entscheidung, der Abschaffung der Pasqua- und Debré-Gesetze, die die Demonstranten forderten, hat sie sich gedrückt. Dabei könnte nur eine Tabula rasa die Voraussetzung für einen wirklichen Neuanfang in der europäischen Immigrationspolitik schaffen. Dorothea Hahn

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