Wenn der Elan verkümmert

Arbeit ist wichtig. Leben auch. Aber wie soll man leben als ArbeitsloseR? Ein Hamburger Verein hilft aus seelischen Krisen  ■ Von Christine Holch

Martin T. ist wütend auf sich. „Obwohl ich den ganzen Tag Zeit habe, kriege ich einfach nichts gebacken, nicht mal das Einkaufen.“Martin T. ist arbeitslos. Zu der Wut über sein „Schluderleben“, wie er es nennt, kommt die Angst, nie wieder jene Selbstdisziplin aufbringen zu können, die man braucht, um morgens um acht Uhr in einem Büro zu sein. Doch da kann ihn Renate Schumak beruhigen: „Die meisten können das dann doch wieder.“Und sie ermutigt Martin T., sich nicht alles so krumm zu nehmen.

Die Diplompsychologin war selbst arbeitslos, bevor sie mit anderen PsychologInnen und SozialpädagogInnen die Solidarische PsychoSoziale Hilfe e.V. gründete, eine in Hamburg nach wie vor einmalige Institution mit ihrer Mischung aus sozialer und psychologischer Beratung. Zehn Jahre ist das jetzt her. Und von Jahr zu Jahr kamen mehr Menschen, die durch die Arbeitslosigkeit in eine seelische Krise geraten waren. 1996 waren es 750. In durchschnittlich acht bis zehn Sitzungen versuchen KlientIn und jeweils zwei BeraterInnen, wieder eine Perspektive zu entwickeln. Für ein Leben mit Arbeit. Aber immer öfter auch für ein Leben ohne Arbeit.

„Arbeit ist wichtig. Leben auch“, steht auf den neuen Flyern. Nach der Kündigung starten die meisten Arbeitslosen erst mal durch: stehen zeitig auf und schreiben 100 bis 200 trickreiche Bewerbungen. Dann kommen die Absagen. 100 bis 200 Absagen. Der Elan verkümmert zu einem gequälten „Eigentlich müßte ich...“Nur was?

Ein unspezifischer Zwang lastet auf jedem Tag. Eine sumpfige, leere Zeit entsteht. „Viele Leute tun einerseits nicht das für ihre Bewerbungen, was sie sich vorstellen“, erzählt Schumak, „sie kümmern sich aber andererseits auch nicht richtig um sich selbst, melden sich eben nicht an für einen VHS-Kurs.“

Warum nicht? Aus Angst davor, sich mit solchen Unternehmungen „einzurichten“in der Arbeitslosigkeit. Umgekehrt wird ein Schuh draus, weiß Renate Schumak aus Erfahrung: „Wer in solchen Bereichen, sei es Sport, sei es Volkshochschule, Lebensfreude entwickelt, tut sich nicht nur viel leichter mit Arbeitsamtsbesuchen, sondern auch mit Bewerbungen.“

Doch auf solche Ratschläge reagieren viele erstmal mit noch größerer Verzweiflung: „Mir macht überhaupt nichts mehr Spaß.“Diesem Frust widersprechen die BeraterInnen nicht. Die Ratsuchenden wollen schließlich, daß sich endlich mal jemand anhört, wie verzweifelt, wie viel verzweifelter als sich irgend jemand vorstellen kann, die Arbeitslosigkeit ist. Manchmal dauert es mehrere Sitzungen, bis die Erinnerung kommt an ganz alte Bekannte oder an Interessen aus einem früheren Leben.

„Wichtig ist, daß das, was ich tue, noch jemand anderen interessiert“, sagt die Psychologin, „denn ob ich Geschirr wasche oder die Linde rauscht, ist eins ...“Also: Verabredungen treffen. Zu Spieletreffs gehen oder in Sportvereine – da sei es auch erstmal nicht so entscheidend, daß man sich absolut sympathisch ist. Und wenn der Start in den Tag so gar nicht gelingen will: Der DGB und viele Initiativen bieten gemeinsame Frühstücke an.

Doch da springt schon das nächste Problem auf: Darf ich es mir als Arbeitslose/r überhaupt gutgehen lassen? Den gesellschaftlich akzeptierten Lebensstil zu finden, das ist eine Gratwanderung. Wer es sich zu gut gehen läßt, wird leicht als Schmarotzer oder Faulpelz betrachtet. Allzu schlecht darf es einem Arbeitslosen aber auch nicht gehen – sonst heißt es: „Naja, so wie der drauf ist, würde ich den auch nicht einstellen.“

Was eine psychosoziale Beratung da helfen soll? „Wir reden über diese Mechanismen. So daß klar wird: Der Druck, unter dem der Klient leidet, kommt nicht von innen, sondern von außen. Diese Erkenntnis ist schon sehr entlastend.“

Solch seelische Entlastung hat letztlich auch auf den Erfolg der Arbeitssuche Einfluß: 44 Prozent der BesucherInnen waren nach der Beratung in Arbeit.

Eine Tanzparty zum 10. Geburtstag der SPSGH steigt am Samstag abend, 23. August, im Café eins, Altonaer Straße 63.