Das blaue Glück von Neuwiedenthal

■ taz Architektur Sommer: HamburgerInnen beschreiben ihr meistgeliebtes oder meistgehaßtes Gebäude der Stadt.  Teil II: Manfred Sack über die glanzvoll einfache Architektur aufgestockter Zeilenbauten

Die Gebäude, denen zur Zeit meine Bewunderung gehört, sind schwer zu finden. Sie stehen in der nicht sehr angesehenen, von deprimierenden Auseinandersetzungen geschundenen Großsiedlung in Neuwiedenthal weit hinter Harburg. Es handelt sich um drei verschieden lange Zeilenbauten an der Neuwiedenthaler Straße/Ecke Rehrstieg, deren Ärmlichkeit sich über zwei Jahrzehnte lang schon außen mitgeteilt hatte: Großplattenbauten der frühen siebziger Jahre, außen unruhig gegliedert, Schemagrundrisse im Inneren, Häuser, die man gar nicht weiter zur Kenntnis zu nehmen pflegte.

Weil die Wohnraumnot dazu zwang, derlei weitläufige, willkürlich gegliederte, von öffentlichem Grün gestaltlos durchschlurfte Siedlungen „zu verdichten“, bekamen die drei zweistöckigen Zeilen jede zwei Geschosse aufgesetzt. So wurden aus 28 Wohnungen 56. Aber viel wichtiger ist, daß sie dadurch endlich, endlich „eine Architektur“bekamen, einen Charakter. Das hat der aus der Schweiz gebürtige, in Hamburg arbeitende Architekt Marc-Oliver Mathez mit großer persönlicher Hingabe und erstaunlichem Einfallsreichtum vollbracht. Er hat die aufgefügten zwei Stockwerke mit blauer Metallverkleidung kenntlich gemacht, mit einem keß gezackten, vorragenden (Pult-)Dach versehen und dem Ganzen einen wunderbaren Pfiff gegeben. Das ging nur unter großen Mühen, vielerlei Beschränkungen und leider gegen den Widerstand der störrischen Altbewohner vonstatten.

Wohl ohne es recht zu wissen, hat die SAGA damit an die glorreichste Zeit ihrer Geschichte angeknüpft, an die zwanziger Jahre mit ihrer bis heute beispielhaften einfachen Architektur von äußerster Solidität. Der Architekt Mathez ist dafür gottlob mit dem 1. Preis des Bundes Deutscher Architekten 1996 ausgezeichnet worden.

Und da auch nach Gebäuden gefragt ist, die die Abreißlust reizen, nenne ich das Hotel an der Alsterkrugchaussee, das mit seiner lächerlichen Architektur den Blicken wehtut – und nenne ich den Parkplatz neben dem Pressehaus am Speersort, auf dem einmal die Hamburger Domkirche gestanden hat. Seit Jahrzehnten verludert dieser historische Platz. Trotz des Engagements der Patriotischen Gesellschaft („der ältesten BI Hamburgs“) und ihrer tatkräftigen Ideensuche blieben die Hamburger Baubehörden dickfellig: Der wichtigste Platz dieses Bürohausquartiers eine widerliche Abzock-Wüstenei! Was immer die Ursache dafür ist, Gedankenfaulheit, berechnende Spekulation oder die Unfähigkeit der politischen Stadtentwickler: Es ist beschämend, daß der kostbare Ort visuell geschändet wird; die Bürger haben ein Recht darauf, ihn als einen schönen, abwechslungsreichen, anspruchsvoll gestalteten Stadt-Platz zurückzubekommen.

Manfred Sack ist Feuilleton-Redakteur der „Zeit“.