: Skulpturen der Luft
Einen Monat lang bewegtes Leben aus New York, Tokio, Paris und Berlin: Ausblick auf die neunte Ausgabe von Tanz im August ■ Von Katrin Bettina Müller
An einer Autobahn fing alles an. Dort betrieben die Eltern von Twyla Tharp ein Autokino, das ihnen in den sechziger Jahren Wohlstand brachte. So wurde die Route 66, von John Steinbeck bis Jack Kerouac als Achse der amerikanischen Träume und Ängste beschrieben, zum Ausgangspunkt für die Choreographin, die als Avantgardistin (radikal!) berühmt wurde und bald für Broadway, Ballett und Kino arbeitete. In ihrem Stück „Tharp!“, für die eigene junge Compagnie entwickelt, durchquert sie die Mythen Amerikas und ihre eigene Geschichte.
Mit Tharps Roadmovie in der Komischen Oper knüpft „Tanz im August“ an das letztjährige Gastspiel der Martha-Graham-Compagnie an, das der sprachlosen Kunst neue Fangruppen erobert hat. Möglich wurde die Einladung der großen Compagnie durch einen Zuschuß von 400.000 Mark aus dem Hauptstadt-Kulturfonds. Damit hat es die Festival-Intendantin Nele Hertling wieder einmal geschafft: auch im neunten Jahr des Festivals, das einst als Entwicklungshilfe der mauen Westberliner Tanzszene erfunden wurde, das kulturpolitische Ansehen des Tanzes, Stiefkind des Theaters, ein wenig weiter zu puschen.
Ähnlich wie Tharp scheint auch der zweite Tanzrebell aus den USA zu einer Versöhnung mit der Tradition bereit. Bill T. Jones, bekannt für choreographische Kampfansagen, nimmt mit Musik von Kurt Weill, Jacques Brel und der Lautmalerei von Schwitters' Ursonate einen Dialog mit der klassischen Moderne Europas auf.
Zur sicheren Unterhaltungsnummer wird das Festival deshalb noch lange nicht. Dafür sorgen die erfahrungshungrigen Tänzer aus Japan, die den Tanz weniger als Formenrepertoire denn als Erlebnisraum sehen. Genieße die Schwerkraft der Erde, solange sie noch hält. Die Botschaft, sich des einfachen Seins bewußt zu werden, ist in der Virtuosität der Japaner ebenso gegenwärtig wie in ihrer Versunkenheit.
Saburo Theshigawara gastiert mit zwei Stücken im Hebbel Theater: Er beschreibt Tanz als „Skulptur der Luft, Skulptur des Ortes, Skulptur der Zeit“ und sucht nach bisher noch nicht gemachten Erfahrungen des Körpers. Denn daß der Mensch nur einen kleinen Teil seiner Fähigkeiten ausschöpft, liegt nicht zuletzt an den körperlichen Konditionierungen.
Dem Maß des Gewohnten in der Wahrnehmung zu entkommen, versucht auch Kei Takei. Die Realzeit des Tanzes mit dem universellen Rhythmus von Tag und Nacht zu synchronisieren ist ihr Konzept. Seit 20 Jahren arbeitet sie an einem 24stündigen Tagebuch, das inzwischen aus 31 Kapiteln besteht. Die Kette aus Solos, Duetten und epischen Sequenzen für 20 Tänzer beginnt im Theater am Halleschen Ufer (9. August, 20 Uhr) und setzt sich im Podewil und in der Klosterruine fort. Wer alles sehen will, wird dann den eigenen Körper zu spüren bekommen.
Etwas entspannter verspricht „Le Bal moderne“ das „Hochgefühl zu vermitteln, daß der eigene Körper doch intelligenter ist als vermutet“, wie ein überraschter Kollege aus der Schweiz schrieb. Woher sonst als aus Paris könnte die Idee stammen, den Tanz wieder unter die Leute zu bringen? Vier junge Choreographen haben kurze Stücke für das Publikum entworfen. Anders als der Narzißmus der Disco oder die Ausschließlichkeit der Paare im Tangofieber verspricht „Le Bal“ ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Das Konzept entspringt nicht etwa purer Vergnügungssucht, sondern der Idee der Performance, gar der „sozialen Skulptur“. Ob sich allerdings die Friedrichstadtpassagen, die den Ball sponsern, als Tanzboden eignen? Bisher beschwört diese unterirdische Konsumwelt aus glattem Stein und Glasgewölben den heißen Atem urbanen Lebens vergeblich.
Kaum weniger gefordert wird der Zuschauer bei Felix Ruckerts Projekt „Hautnah“, das im Dock11 realisiert wird: 10 Solos für je einen Zuschauer, der für 15 oder 30 Minuten mit dem Tänzer seiner Wahl in einem Raum verschwindet. Da kann man nicht nicht reagieren. So will Ruckert den Betrachter als Dialogpartner gewinnen. Zehn Spielstätten, vier Workshops, dreizehn Programme: Das Festivalfieber droht, so scheint's, vom August nichts übrigzulassen als Tanz, Tanz, Tanz.
Erste Termine: 2.–5.8., „Tharp!“, Komische Oper, 20 Uhr; 2.–3.8., John Jasperse, Theater am Halleschen Ufer, 21 Uhr; 3.–5.8., Saburo Theshigawara, Hebbel Theater, 20.30 Uhr
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