Wand und Boden: Wahrheit und Lüge
■ Kunst in Berlin jetzt: Lindberg, Benkö, Frenkel, Lahr
In einer wackeligen Schrift, die immer zittriger wird, hat Maria Lindberg auf ein Blatt Papier notiert: „Ich bin so aufgeregt, ich kann es nicht verbergen, ich bin davor, die Kontrolle zu verlieren, und ich denke, ich mag das.“ An anderer Stelle zeigt ein typisches buntes Knipserbild eine junge Frau, die auf einer Bettkante sitzt. Ihr Gesicht ist ausgeschnitten, und der Titel des Blatts lautet „Ein Loch, um die Wand zu sehen“.
Maria Lindbergs Zeichnungen in der Galerie Jesco von Puttkamer erzählen die Wahrheit, auch wenn sie von der „Lüge“ handeln, die in dem Satz „I'm from Brooklyn, I take no shit“ besteht. Es ist eine überflüssige Wahrheit, eine ziemlich komische Wahrheit, weil sie nicht weiterhilft und nur von sich selbst spricht. Die Titel und die sparsamen Umrißzeichnungen laufen auf die pure Tautologie hinaus: „Failed drawing“ zeigt ein Gesicht, in dem die Nase an der Stelle des Auges sitzt, der Mund an der Stelle der Nase und das Auge den Mund ersetzt. Auf den ersten Blick sieht das gar nicht so falsch aus, auf den zweiten erinnert es an die Jokes von Magritte, und auf den dritten Blick wird klar, daß hier eine Sache, die man längst für ausgereizt hielt, mit einem simplen Kunstgriff tatsächlich eine neue absurde Wendung kriegt. Maria Lindbergs präziser Blick für nutzbare Situationen erinnert an Nicole Eisenman, wenn sie auf die weiß aufragende Säule im Galerieraum schreibt: „When I go down on my knees, it's not to pray.“ Die schwedische Künstlerin wird auch mit Sue Williams verglichen, aber anders als für diese „bitch, who couldn't draw her way out of a paper bag“ (Coagula Art Journal), wäre das für Lindberg kein Problem.
Bis 16.8., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Auguststraße 22
Tautologisch sind in gewisser Weise auch die Fotografien von Imre Benkö. Das liegt an ihrem Sujet. Benkös Fotografien handeln vom Stahl, und das heißt, das weiß man inzwischen, vom Verschwinden des Stahls. Ozd, die „Stadt des Stahls“, liegt im Norden Ungarns. 1272 wurde sie zum erstenmal urkundlich erwähnt, 1526 von Türken besetzt, 1841 wurde das erste Stahlwerk errichtet. 1992 ging die Stahlindustrie, die das Leben der Stadt seither prägte, in Konkurs. Als Benkö 1987 in Ozd zu fotografieren begann, konnte er die Stadt und das PEKO Stahlwerk noch als einen Ort zeigen, der den proletarischen Heroismus seiner Bewohner herausforderte und von ihm lebte. Die Straßen sind schwarz verrußt und die Häuser, sofern es sich nicht um den üblichen Plattenbau handelt, ziemlich heruntergekommen und im Innern nur spärlich möbliert. Aber es gibt ein kleines Einkaufszentrum, und die Fernwärmerohre durchziehen die urbane Architektur. 1991 dokumentiert er die ersten Warnstreiks im Werk, 1992 folgt die erste Liquidationsversammlung. Auf beiden Bildern sind die Gesichter der Arbeiter angespannt. Benkö ist Fotojournalist, seine Bilder haben den typischen dramatischen Gestus von World Press Photo. Schwarzweiß, starke Kontraste, oft grobes Korn. Seine eindrücklichen Porträts der Elektriker und Gießereiarbeiter tragen Spuren des sozialistischen Realismus. Es ist vertrackt, aber dieser Stil ist seinem Anliegen nicht dienlich, man meint solche Bilder schon oft gesehen zu haben. Als eine Art folkloristische Erzählung.
Bis 29.8., Mi.–So. 16–21 Uhr, Prenzlauer Promenade 3
Wenn es um das Verschwinden der Arbeit geht, reicht es heute wohl nicht mehr aus, nur auf Bilder zu setzen, die darüber hinaus selbst verschwinden. Sie verschwinden in der Menge der notwendigen Informationen, die einen komplexen Sachverhalt verständlich machen und die der Computer bereithält, der bekanntlich zum Verschwinden der Arbeit und, weniger offensichtlich, auch zu dem der Bilder beiträgt.
So jedenfalls zeigt es sich in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, wo die kanadische Künstlerin Vera Frenkel und die Berliner Künstlerin Christin Lahr der „Virtualität des Verschwindens“ nachgehen. Vera Frenkels künstlerischer Forschungsgegenstand sind die verschollenen Kunstgüter, die von den Nazis aus den europäischen Museen geraubt wurden, um in Linz die Basissammlung einer neuen Nationalen Kunstgalerie zu bilden, die größer als die Uffizien sein sollte. „Body Missing“ beinhaltet eine sechsteilige Videoinstallation, die 1995 in Linz zu sehen war, sowie im Internet eine Weiterentwicklung der „Transit Bar“, Frenkels Beitrag zur documenta IX, 1992. Christine Lahr analysiert das Verschwinden des Museumsbesuchers und der Originalexponate im heutigen Museum, genauer die Auflösung ihrer beider Konzeption.
Vor allem weil die Arbeit von Vera Frenkel technisch sehr sauber umgesetzt ist und alle Querverweise funktionieren, überzeugt die These von der Virtualität des Verschwindens. Wenn man derart leicht durch die Geschichte und durch die Museen navigieren kann, wird das unbedingt unser Verhältnis zu diesen Institutionen und ihren Praktiken verändern.
Christine Lahr setzt noch auf die Materialinstallation, auf vergrößerte Vierergruppen von Paßbildern, in denen die Gesichter ausgeschnitten sind, auf Abstandsbegrenzungen und auf leere Rahmen, unter denen „bitte nicht berühren“ steht, um die totale Mobilmachung des Blicks im elektronischen Raum zu verdeutlichen. Diese Mobilmachung läßt die Originale und die Rechte, ja selbst die Sinnlichkeit, die mit ihnen verbunden sind, zur Quantité négligable werden. Vera Frenkel häuft dagegen im virtuellen Raum alte Dokumente, Briefe und Fotografien, die Listen der Listen, Zeitungsausschnitte und neue Kaffeehausgerüchte an. In dieser komplizierten Mixtur aus Fiktion und Dokumentation verschwindet manches, aber es findet sich auch vieles.
Bis 24.8., tägl. 12–18.30 Uhr, Oranienstraße 25 Brigitte Werneburg
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