Sätze vom Indianerhäuptling

■ Meereswellen, ein Schwan, ein Schiff: Alles fließt im 3sat-Porträt des Philosophen Ernst Bloch (Sa., 19.20 Uhr)

So könnte man sich Theiresias vorstellen, den blinden Seher der griechischen Mythologie: uralt wie ein märchenhafter Vogel, eine schwarze Brille vor den Augen, das dichte, weiße Haar kompromißlos nach hinten gekämmt. So sitzt der blinde Ernst Bloch auf dem Sessel seines Tübinger Arbeitszimmers, singt die Melodie einer Kantate und dirigiert dazu. Glück und Ekstase, sagt er, kämen in dieser Musik so deutlich zum Ausdruck, daß es auch ohne Sprache fast zu verstehen sei. Fast. Denn Musik, die Blochs Denken zeitlebens grundierte, war ihm nur als Ahnung faßbar, als Modell des Utopischen, des Noch-nicht-Bewußten, als „intensitätsreichste Menschenwelt“.

Vielleicht ist es allzu schlicht verstandener Bloch, wenn sich im eitel als „Portrait-Essai“ bezeichneten Film von Jürgen Miermeister, den 3sat zum 20. Todestag am 4. August schon heute ausstrahlt, die Musik aufdringlich in den Vordergrund drängt. Eine Arie aus Wagners „Tristan und Isolde“ ist dem 40minütigen Streifen fast durchgängig unterlegt, zäh wie alter Kaugummi. Das schwülstelt ungehemmt vor sich hin, besonders dann, wenn Miermeister zu eingesprochenen Bloch-Zitaten symbolschwangere Bilder zeigt: Meereswellen, einen gründelnden Schwan, ein Schiff. Alles fließt, so einfach ist das.

Doch auch Bloch selbst konnte ein hemmungsloser Kitschbruder sein. Er formulierte Sätze, wie sie der Indianerhäuptling persönlich nicht schöner hätte sagen können: „Unser Blut werde wie der Fluß, unser Fleisch wie die Erde, unsere Knochen wie die Felsen, unser Gehirn wie die Wolken und unsere Augen wie die Sonne.“ Dazu passen der goldene Abendhimmel und die Wagner-Klänge ganz gut.

Miermeisters Film ist ein biographischer Abriß. Die einzelnen Sequenzen tragen gewichtige, unbedingt alliterierende Überschriften: „Hoffen: Hölle & Himmel“ etwa reicht von der Emigration über die Jahre in Leipzig (1949 bis 1961) bis zur Tübinger Professur. Blochs allzu langes Festhalten am stalinistischen Führerkult und am Idealbild eines verherrlichten Rußland („Die anderen Staaten grenzen an Berge, Meere, Flüsse, Rußland aber grenzt an Gott“) erklärt Miermeister als Reaktion auf die Erfahrung des Faschismus und fügt hinzu: „Januskopf Bloch – Hellsicht und Hirnriß“. Alliteration statt Analyse ist auch ein schöner Stabreim.

Gelungener dagegen die Abschnitte über Liebe, Jugend und Tod. Da gelingt die Verschränkung von Biographischem und Philosophischem, wenn Bloch von der Kindheit in Ludwigshafen erzählt und Jugend als die Lebensphase mit dem „höchsten Prozentsatz des Noch-nicht“ erklärt. Oder wenn er sich altersweise und lebenssatt zeigt, voller Neugier auf den Tod. Oder wenn er über die Frauen spricht, die er liebte, und Liebe als treibende Kraft seines Lebens deutlich wird. Miermeister hat in den Archiven gestöbert und dort auch unbekanntes Material gefunden. Es ist faszinierend, den marxistischen Mystiker sprechen zu hören und die eiserne Disziplin seiner Formulierung zu bewundern: das schneidende Pathos seiner Vorlesungen, die immer ein bißchen wie Predigten wirken, und die Kunst, selbst die banalsten Dinge mit finsterem Ernst vorzutragen. Schon dafür lohnt sich das Zuschauen. Jörg Magenau