■ Die Linke und Europa (3): Der Euro kommt – und die Linke sitzt in der Kneipe und flennt. Zehn rote Thesen
: Regt euch ab, Genossen

I. Regt euch ab, Genossen. Der Euro kommt, ob's euch paßt oder nicht. Machtmathematik ist simpel. Die Ungleichung lautet: Der Kapitalismus ist stärker als die Linke. Er ist so stark wie noch nie; sie ist so schwach wie noch nie.

Den Kapitalismus bekämpfen durch Motzen gegen den Euro ist ein fader Aktivismus, nämlich gar keiner. Interessant ist nicht mehr, ob und daß der Euro kommt, sondern was dahinter kommt. Der neue Sozialismus wird ein Produkt der Post-Euro-Zeit sein.

II. Jetzt dürfen wir uns nicht selber nervös machen. Jetzt geht es um einen provisorischen Linksbuddhismus, wie ihn Marx und Engels übten. Gelassenheit. In eine Schlacht, die man nicht gewinnen kann, geht man nicht.

Die Europäische Währungsunion ist eine Entwicklungsphase des Kapitals, und historische Entwicklungsphasen kann man nicht überspringen und nicht wegdekretieren (schrieb der Realo Marx).

Es gibt zahlreiche Geschichtsperioden, in denen das Neue: das Übernächste nach dem Nächsten, noch nicht praktisch werden kann. Zu leisten ist in solchen Zeiten theoretische Schwerarbeit (griech.: theoria, Schauen), lustvoll, wütend, emotional.

III. Marx und Engels waren Großdeutsche. („Deutsche Demokratische Republik“ war ihre utopische Wortschöpfung; ein gemischt marxistisch-großdeutsches Label.) Daß ein geeintes Deutschland zunächst einmal ein kapitalistisches Projekt ist, wußten sie wohl. Daß ein geeintes Europa zunächst einmal ein kapitalistisches Projekt ist, wissen wir wohl. Aber historische Entwicklungsphasen, siehe oben. „Gegen Europa“ ist ein liebenswert anständiger Anarchostandpunkt. Wir wollen den Kapitalismus besiegen, jetzt und hier. Wir wollen alles sofort. Einen Schmarrn. Als erstes kriegen wir gar nichts, außer eins auf den Deckel.

IV. Die Linke wird virtuell. „Europäische Linke“ ist derzeit die Kombination zweier Non-Entitäten. Die Linke gibt es nicht. Noch mehr nicht gibt es nur noch die europäische Linke. „Europa“ ist eine wirkmächtige kapitalistische Vokabel und eine hilflose linke Denunziation.

Die Linke ist macht- und ratlos. „Die Linke ist tot“; Totgesagte leben besonders lang.

So hageldicht kam's über die Linke noch nie. Die Auslöschung der Sowjetunion war eine große Niederlage. Die deutsche Wiedervereinigung war die nächste große Niederlage. Jetzt kommt die dritte, noch größere Niederlage, die Europäische Währungsunion.

V. Jetzt müßte die Linke endgültig hin sein. Es ist ihr hochentwickelter Masochismus, der sie am Leben erhält. Masochismus ist das gegenwärtige Lebens- und Lustprinzip der Linken. Zwanzigmal totgeschlagen, beim 21. Mal wieder lebendig.

Vorwärts in die nächste Niederlage! Heilig die letzte Schlacht, und nochmals die letzte, und nochmals die letzte. Die strenge Kammer des Euro-Kapitals wird umfunktioniert in ein Beisel [österreichisch für Kneipe; Anm. d. Red.], wo die Linke beim Bier sitzt und flennt.

VI. Da ist das „Volk“ von einem anderen Kaliber. Das Volk ist gewöhnt, daß es hineingelegt wird; seit Jahrtausenden. Die linke Kritik kann nach Strich und Faden nur beweisen, was das Volk ohnehin weiß. Alle Währungsreformen werden auf seinem Rücken ausgetragen, das Euro-Drahdiwaberl (der Euro-Trick) erst recht. Aber das Volk ist nicht links, sondern realistisch. Das Volk stellt uns vor die Frage: Wo ist eure Alternative? Und wir stehen blöd da, linke Kaiser ohne Kleider. Es gibt keine Alternative, also müssen wir durch.

Jetzt gibt es Wichtigeres zu tun, als eine Geschichte des linken Masochismus zu schreiben.

Der Kapitalismus ist transnational, der Sozialismus nicht einmal mehr national. Daraus folgt: Der Sozialismus des nächsten Jahrtausends wird europäisch sein müssen, oder er wird gar nicht sein. Er wird aber sein; also wird er europäisch.

VII. In der Linken besteht kein Gefühl und keine Vernunft mehr, was denn ihre eigentliche Aufgabe ist. Sie hat keine Ahnung davon, daß ihr Tod die Voraussetzung ihrer Auferstehung ist (was doch jeder noch so beschränkte Theologe weiß).

Wir gelangen zu Neuem nur auf dem Weg über die Preisgabe des Alten. Der Sozialismus ist auch darin ein Zwilling des Kapitalismus, daß er dessen Bewegungsform teilt, nämlich immer wieder neu ersteht, nachdem es mit ihm – jetzt oder bald – aus und vorbei ist. Der Tod der gesamten Linken (des Marxismus, des Kommunismus, der Sozialdemokratie, der Anarchie) ist eine Fehlprognose, in der sich das derzeit triumphierende Brutalkapital und die derzeit trübselige Linke pervers einig sind.

Solange es Kapitalismus gibt, recht lange also noch, soll man sich um dessen Begleitmusik, die Linke, keine tieferen Sorgen machen.

VIII. Die Fortbewegungsweise des Kapitalismus ist die einer Kette von aufeinanderfolgenden Selbstmorden, die zum Ärger der Linken immer wieder mißlingen. Auf den Kapitalismus ist kein Verlaß. Die historische Erfahrung lautet, daß er nach jedem prophezeiten Selbstmord neu aufblüht.

Zur fundamentalen Kriminalität des Kapitals gehört auch die Unsittlichkeit, daß es sich seinem wohlverdienten Untergang durch immer neue Kapriolen entzieht, die vorauszusehen weder die Linke noch gar der Kapitalismus selber genügend Phantasie haben.

IX. Der Entwicklungsvorsprung, der dem Sozialismus in seiner Hoch-Zeit eigen war, hat sich ins Gegenteil gekehrt. Einst war er wesentlich international, das Kapital wesentlich national. Jetzt stimmt nicht einmal mehr das Gegenteil, so schlimm sind die Zeiten.

Zu bedenken ist freilich, daß in allem Inter-nationalen das Nationale, man sieht's schon am Wort, mit enthalten ist. Nach bisheriger Erfahrung bedarf es zur Internationalität einer nationalen Vormacht. Zu Zeiten war dies, links und mißglückt, die Sowjetunion. Jetzt ist es, rechts und geglückt (bis auf weiteres), US-Amerika. Eine kommende Vormacht für einen kommenden internationalen Sozialismus ist weithin nicht in Sicht.

X. Jetzt gilt es genug phantastisch zu sein, um sich vom Nebel der Zukunft beflügeln zu lassen. Ich entdecke eine wiederkommende Vormacht, geistig, also inter- und transnational, im Christentum (global: in der Religion überhaupt). So kann die Grundverfehlung der Linken – die Arroganz des Atheismus – ausgeheilt werden.

„Nur Dumköpfe glauben an blutige Revolution.“ (Robert Musil) Es lebe die christlich-soziale Revolution gegen das Brutalkapital! Günther Nenning