Schuld und Segel

■ „Sonjas Logbuch“: Ein Jugendroman der Hamburger Autorin Birgit Rabisch

Sonja ist so korrekt, daß es einem schaudert. Sie ankert mit ihrer Jolle selbst bei Sturm nicht in Naturschutz-Buchten, empört sich über Dumping-Löhne und glaubt an Gespräche statt an Autorität. Gut, daß Sonja außerdem Komplexe hat.

Daß sie fürchtet, ihr Freund habe sich in eine andere Frau verknallt, und daß sie deshalb ihre Haare strähnig und ihren Busen mickrig findet, macht die 18jährige liebens- und Sonjas Logbuch lesenswert. Von Autorin Birgit Rabisch in einen Jollenkreuzer verfrachtet, schippert Sonja drei Wochen lang auf Elbe und Nordsee herum – mitsamt Freund, der Widersacherin Cornelia und deren Freund. „By the way“, würde Sonja an dieser Stelle sagen, „das Boot gehört mir“.

Was als Erholungsreise nach dem Abitur beginnt, wird erst zu einer Eifersuchts- und dann zu einer Rettungsgeschichte. In einer Sturmnacht fällt Cornelia über Bord. Sonja hört sie schreien, hilft aber nicht sofort. Sie ist erleichtert, meint, ohne das Mädchen ein Problem weniger zu haben.

Bis es soweit ist, vergehen 120 Seiten. Die Hamburger Autorin Birgit Rabisch nimmt sich Zeit, um Sonja vorzustellen. Tageweise läßt sie die 18jährige von ihrer Reise berichten. Sonja zitiert Segelbücher, aber auch aus Der Name der Rose, erzählt vom Sex mit ihrem Freund und schwatzt über die Schule. So bewahrt ihr Logbuch davor, zum simplen Reisebericht zu geraten. Die Aufzeichnungen klingen mal cool, mal dramatisch. „In Mathe sollte ich auf eins geprüft werden. So what?“, schreibt Sonja. Und, einhundert Seiten weiter: „Am Ende der Reise war ich eine andere als am Anfang.“

Am Anfang – das ist, bevor Rabisch's zweites Jugendbuch zu dem wird, was die 44jährige einen „Roman von Schuld und Sühne“nennt. Als ihre Widersacherin über Bord stürzt, hat Sonja ein schlechtes Gewissen. Sie meint, Parallelen zu ihrer Urlaubslektüre zu entdecken: Schuld und Sühne von Dostojewskij. Schuld oder nicht Schuld wird für einige Seiten zur Hauptfrage des Logbuchs.

Antworten gibt Birgit Rabisch allerdings nicht. Im Gegenteil: Die verunglückte Cornelia wird lebend aus dem Wasser gefischt und Sonjas Freund ist treu wie Hundekuchen. Am Ende geht es nicht mehr um Schuld. Man hat Sonja kennengelernt, und das ist das eigentlich Wichtige. Denn plötzlich entdeckt man, daß sie bei aller Korrektheit eigentlich ganz nett ist.

Judith Weber

Birgit Rabisch: „Sonjas Logbuch“, Patmos Verlag, Düsseldorf 1997, 144 Seiten, 24.80 Mark, ab 14 Jahre