Duft und Bauch der Hafenstädte

■ Der Brasilianer Carlos Azevedo lebt und schreibt seit 23 Jahren in Hamburg

„Morgens vor dem Kaffee kann ich noch schlecht deutsch“, entschuldigt sich der 46jährige Carlos Azevedo in einem wunderschönen Deutsch mit brasilianischer Melodik und lacht.

Der in der Hafenstadt Recife aufgewachsene Schriftsteller lebt seit 1974 in Hamburg. Obwohl er der Repression der brasilianischen Militärdiktatur entflohen ist, bezeichnet er sich nicht als Flüchtling. „Ich hatte einfach keinen Bock mehr“, erklärt Azevedo. Nach 23 Jahren fühlt er sich in Hamburg zuhause: „Recife und Hamburg haben denselben Geruch. Es ist ein Duft, der aus dem Bauch der Stadt strömt. Er infiziert Passanten, dringt in Häuser und Geschäfte“, heißt es in Hamburgo Blues, seinem dritten Buch.

Carlos Azevedo lebt und arbeitet in einem Reetdachhaus in Elbnähe. Dort hat er die zum Schreiben notwendige Ruhe und Abgeschiedenheit. Über das Schreiben sagt er: „Du schreibst allein. Diese völlige Einsamkeit ist notwendig, aber auch schwierig. Wenn ein Buch oder ein Projekt fertig ist, bekommst du ein Tief. Das ist eine momentane Entfremdung wie ein Exil.“Jedes Buch – so scheint es – ist für die Zeit des Schreibens wie ein neues Land. Wenn er sich gerade eingerichtet hat, muß er sich wieder auf die Suche nach Neuem machen.

Azevedo hat erst im deutschen Exil angefangen zu schreiben. Mit dem 1994 veröffentlichten Hamburgo Blues, einer komisch-poetischen Textcollage aus Eindrücken, Anekdoten, Zitaten und Gedichten, hatte er einen ersten Erfolg. Der Blick auf die Stadt ist die teils liebevoll verzeihende, teils ironisch-distanzierte Perspektive eines Fremden. Für Hamburger gibt es viel zu lachen und zu lernen. „Bergedorf mon amour“ist der Titel eines kleinen Liebesgedichts an den Hamburger Vorort. Die Zeitungsanzeige, in der eine „zimtbraune, junge, hübsche Brasilianerin“einen deutschen Mann, „egal welchen Alters sucht“, steht für sich und die Sprachlosigkeit angesichts der Armut eines Landes, dessen Bewohnerinnen sich Würde oft nicht leisten können.

In seinem 1994 erschienenen, ersten Roman Os herdeiros do medo (Die Erben der Angst) hat sich Azevedo in ein drittes Land begeben. Im Portugal des 18. Jahrhunderts geht es um das Leben unter der Inquisition. Die Frage nach dem Psychogramm einer zu solcher Grausamkeit fähigen Gesellschaft steht im Vordergrund. Bleiben und die eigene Identität verleugnen oder fliehen und alles zurücklassen ist der schmerzhafte Gewissenskonflikt des Protagonisten, dem jüdischen Dichter Antonio José da Silva, der in Portugal auf dem Scheiterhaufen starb.

Warum Portugal? Warum vor zwei Jahrhunderten? Für Azevedo war diese räumliche und zeitliche Distanz notwendig. „Ich glaube, ich hatte einen Identitätsverlust. Die Kritiker warfen mir vor, daß ich nicht über Brasilien schrieb.Das konnte ich noch nicht.“

In seinem jüngsten Buch wird der Konflikt vom Anderssein ins Hier und Jetzt geholt. Der Schelmenroman mit dem Titel Meu Nome é Ninguém (Mein Name ist niemand) über das Leben eines „Illegalen“in Hamburg und Berlin soll im Oktober erscheinen. „Ich bin ruhiger und klarer“, sagt Azevedo. „Ich bin Brasilianer und lebe in Deutschland, jetzt kann ich auch darüber schreiben.“Und wenn die Hamburger Glück haben, können sie auch irgendwann darüber lesen: Bis heute hat sich nämlich leider kein Verlag gefunden, der die Werke auch in deutscher Sprache veröffentlicht. Katja Fiedler