KettenspielerInnen werben abgeschottet

■ Die Organisation „Titan“suchte am Sonnabend in Hamburg neue MitspielerInnen

Kiel, Rostock, Hannover – Rothenburgsort. Wer aus hundert und mehr Kilometern anreist, läßt sich durch elf Polizisten vor den Zielorts-Toren nicht abschrecken. Zumal es um Geld geht. Und um einen Tip unter Freunden. So nickt die Mittfünfzigerin aus Rostock den Beamten nur zu, greift sich ein Flugblatt „Vorsicht Kettenspiele“, passiert das Eisentor. An zwei Bodyguards vorbei, zehn Krawattenträgern die Hand drückend. Tür zu.

Fünf Stunden lang bleibt das Eisentor geschlossen, am Sonnabend im Gewerbegebiet in Rothenburgsort. Abgeschottet wirbt die Organisation „Titan“hier um EinsteigerInnen bei ihrem Kettenspiel. Neugierige ohne namentliche Einladung fliegen raus, Leute in Jeans und Leinenschuhen auch. Wer bleiben darf, muß eine Schweigeerklärung unterschreiben. Auf Petzen stehen 10.000 Mark Strafe.

„Es ist verboten, was da gemacht wird“, sagt Polizeisprecher Hartmut Kapp. „Aber die Rechtslage ist unklar.“Ist es unlauterer Wettbewerb, wenn MitspielerInnen nach dem Schneeballsystem geworben werden? Ist es Betrug, wenn „Titan“für viele EinsteigerInnen ein Verlustgeschäft ist?

Die Gerichte sind sich nicht einig. In Hamburg ließ die Staatsanwaltschaft im August 1996 die Büros des mutmaßlichen Organisators durchsuchen. Strafbefehle wurden erlassen und vor Gericht bestritten.

„Zwischen 150.000 und 180.000 Menschen in ganz Europa machen bei dem Kettenspiel mit“, schätzt Polizeimitarbeiter Bellmann vom Hamburger Fachkommissariat spezieller Betrug. Sagte da jemand Kettenspiel? „Wir spielen nicht“, erregt sich ein Titan-Mitarbeiter. Dazu ist der Einsatz zu hoch. Wer mitmachen will, zahlt 5900 Mark. Einen Teil davon bekommt derjenige, der den Neuen geworben hat. Den Rest kriegen Langgediente, die weiter oben in der Hierarchie stehen. Konsequenz: NeueinsteigerInnen versuchen, ihre anfangs investierten 5900 Mark wieder zusammenzutrommeln, indem sie Bekannte und Freunde zum Mitmachen überreden. „Die Macher haben damit schon Millionen gescheffelt“, sagt Bellmann. Anfänger dagegen fänden selten genug Interessierte, um ihr Startgeld wiederzukriegen – von Gewinnen nicht zu reden.

„Das ist eine freiwillige Sache“, rechtfertigt sich ein „Titan“-Mitarbeiter. „Wir haben nichts zu verbergen.“Die Polizei sei immer willkommen – vor der Tür selbstverständlich. Als das Tor abends um acht wieder aufgeht, werden die Gäste einzeln zu ihren Autos geleitet. Die Frau aus Rostock geht, so schnell es ihre Pumps erlauben. Zu den vergangenen fünf Stunden gibt sie „keinen Kommentar“. juw