Press-Schlag
: Trostlos! Ätsch!

■ Täuschend interessanter Saisonstart

Es ist einfach wunderbar, welch hundertprozentiger Verlaß auf die Bewohner eines seltsamen Landstrichs namens Pfalz ist. Gegen die Bayern und ihre fußballerischen Komödienstadl-Filialen 1860 und FC kann man wettern, daß die Schwarte kracht, ohne daß irgendeine Reaktion erfolgt. Heißt man die Kicker von Werder Bremen „Fischköppe“, reagieren höchstens die Nordseestuben beleidigt. Und läßt man eine ausgeklügelt fiese Sottise gegen Bayer Leverkusen vom Stapel, sagen die Leute nur: „Leverkusen? Nie gehört.“ Jede noch so beiläufige Schmähung gegen den 1. FC Kaiserslautern und die Region, in der er beheimatet ist, ruft jedoch sofort eine Flut von empörten Leserbriefen hervor. Zuletzt der Nebensatz von den „abgelegenen Tälern und anderweitig trostlosen Landstrichen“ in unserer Bundesliga- Vorschau am vergangenen Freitag. Soviel Leser-Blatt-Bindung freut uns natürlich und deshalb geloben wir hiermit feierlich, im weiteren Saisonverlauf regelmäßig mit beißenden Pfalz-Injurien aufzuwarten. Das dürfte uns kaum schwerfallen, schließlich hat der FCK ja Otto Rehhagel. Trostloser geht's kaum, und alle haben es auch gemerkt, außer Zeit und Sportstudio. Aber die merken ja selten was.

Überraschenderweise hat der 1. FC Kaiserslautern am Samstag gewonnen, und das bei den Münchner Bayern, wo Otto Rehhagel einstmals nicht oft genug gewann. Ebenso siegte Aufsteiger Wolfsburg in Rostock, und Schalke sorgte mit seinem 2:1 gegen Leverkusen dafür, daß beim Vizemeister bis zum ungefähr drittletzten Spieltag keiner mehr „Meisterschaft“ sagen darf. Da auch der VfB Stuttgart gegen 1860 München nur ein Unentschieden spielte, hat keiner der drei am Freitag und Samstag aktiven heißen Titelkandidaten gewonnen.

Indiz für eine spektakuläre Saison? Wohl kaum. Hochkomplizierte Präzisionsmaschinen brauchen nach ihrer Modernisierung eben ein wenig länger, bis sie optimal laufen, als simple, zur reinen Abstiegsvermeidung zusammengestückelte Rohkonstruktionen. Schließlich ist auch ein Jan Ullrich erst bei der Tour de France in Hochform, nicht aber beim Kriterium des letzten Schnees in, nun ja, Pirmasens (ätsch!).

Mit manch freudig sprießender Hoffnung kann es schnell wieder vorbei sein. Wir erinnern uns an die Berliner Tasmania, die 1965 auch ihr erstes Saisonspiel gewann, und dann nur noch einmal, am letzten Spieltag. Oder den FC St. Pauli, dessen Anhänger noch heute jene Tabelle vom August 1995 auf dem Hemde tragen, die ihren Verein nach dem 1. Spieltag als Spitzenreiter auswies. Der erste Platz ist es beim 1. FCK zwar nicht, dennoch könnte es kaum schaden, ein paar T-Shirts zu drucken. Bevor es trostlos wird. Ätsch! Matti