Ein Straßenname spaltet St. Peter-Ording

Das Nordseebad erwacht aus seinem Dornröschenschlaf der Geschichte: Erbitterter Streit um den Namen des Nazi-Schriftstellers Gustav Frenssen auf einem Straßenschild  ■ Von Kay Dohnke

Fast ein Vierteljahrhundert lang hat niemand etwas gemerkt. Als die Gemeinde St. Peter-Ording 1972 Namen für vier Straßen eines Neubaugebietes suchte, griff sie auf regionale Schriftsteller zurück. Vordergründig eine praktische Lösung: Wer in Gedichten und Erzählungen die Menschen Eiderstedts oder Nordfrieslands beschrieben hatte, konnte auch für Neubürger Identität stiften. Wie andere Städte und Orte ehrte auch St. Peter nun Theodor Storm, Klaus Groth und Friedrich Hebbel mit einem Straßenschild – und Gustav Frenssen, den erfolgreichen Romanautor aus Dithmarschen.

Der Zündstoff, der sich hinter diesem Namen verbarg, blieb den Einwohnern des Nordseebades allerdings bis zum April 1995 verborgen. Dann erschien ein Artikel zu Frenssens 50. Todestag, der die in den Schriften des „Heimatdichters“teils sehr direkt transportierte Nazi-Ideologie aufdeckte. Gerhard Moss, ein jüdischer Einwohner des Kurortes, forderte anschließend per Leserbrief politische Konsequenzen aus den gar nicht so neuen Erkenntnissen: „50 Jahre nach Kriegsende und der Befreiung vom Nationalsozialismus ist es nun wirklich an der Zeit, daß heutige Gemeindevertreter in St. Peter-Ording die Initiative ergreifen und dem Spuk des Gustav-Frenssen-Weges ein Ende bereiten.“

So lange die politischen Amtsträger auch geschlafen hatten, so schnell schritten sie nun zur Tat und nahmen sich des Straßennamens an. „Laßt ihn uns ändern, so bald und so still wie möglich“, lautete nach Angaben des SPD-Vorsitzenden Lutz Vollrodt das Motto seiner Fraktion. „Und das“, so Vollrodt, „war der eigentliche Fehler, der dann geschehen ist. Man wollte diese ganzen Diskussionen vermeiden.“Doch die Beschlußfassung hinter verschlossenen Türen erwies sich als Stich ins Wespennest. Binnen Tagen formierten sich die Anlieger des Gustav-Frenssen-Weges zum Protest. 95,4 Prozent der befragten Anwohner wollten den Nazi-Namen behalten.

Der trotzige Widerstand wurde nur mit wenigen Argumenten unterlegt. Als die Zurückweisung der „angeblichen“Nazi-Verstrickung Frenssens angesichts des klaren Sachverhaltes peinlich wurde, behaupteten die Wortführer flugs das Gegenteil und schwenkten auf ökonomische Begründungen um: „Wir Bürger leben seit 20 Jahren kritisch mit diesem Straßennamen und betrachten ihn auch als Mahnmal für eine schlimme Zeit.“Das Ändern von Stempeln und Visitenkarten, Briefpapier und Prospekten für Ferienwohnungen aber würde horrende Summen verschlingen, und überhaupt, man lasse sich eine solche Entscheidung nicht von oben diktieren.

Inzwischen zieht sich der Streit um den Gustav-Frenssen-Weg über zwei Jahre hin. Das Beharren auf dem alten Namen wird gern als Kritik am politischen Prozedere hingestellt. Ein Teil der Bürger entdeckt die Erblast der deutschen Geschichte und stellt sich ihr, der andere Teil bleibt stur und behauptet, der Gemeinde sei durch den Namen kein Schaden entstanden.

Nachdem der Streit in den Leserbriefspalten der Zeitungen breit ausgetragen worden war und die Gemeinde die Umsetzung ihres Beschlusses hinausgezögert hatte, verlagerten die Anhänger des Frenssen-Weges ihre Taktik. Auf einem Informationsabend der Kieler Unigesellschaft zu Frenssens Nazi-Vergangenheit hielten sie sich bedeckt. Der Kontakt zur Presse wird inzwischen gescheut. Doch unter dem Tarnmäntelchen demokratischen Bewußtseins leiteten sie ihren nächsten Schachzug ein: 553 von knapp 3.000 wahlberechtigten Bürgern St. Peters unterschrieben binnen Tagen den Antrag auf ein Bürgerbegehren – es waren genug Unterschriften, so daß der Landrat des Kreises Nordfriesland das Bürgerbegehren genehmigen mußte.

Der 30. November wird nun zum Entscheidungstag über das künftige Ansehen des Nordseebades. Zwar mühen sich St. Peters kritische Bürger in einer „Interessengemeinschaft gegen die Beibehaltung des Namens Gustav-Frenssen-Weg“um die Aufklärung der Öffentlichkeit, doch der Ausgang der Befragung ist offen. Zu unberechenbar ist die schweigende Mehrheit der Ortseinwohner.

Bleibt es bei dem umstrittenen Straßennamen, so sehen Lutz Vollrodt und andere erst den wirklichen Schaden für den Kurort heraufziehen. Sie rechnen mit einem Rückgang des Fremdenverkehrs – und das wäre ein eindeutiges Signal dafür, was die Sommergäste vom Scheitern der Vergangenheitsbewältigung in St. Peter halten.

Vielleicht aber liegen auch die Initiatoren der Interessengemeinschaft gegen die Namensbeibehaltung mit ihrer optimistischen Vermutung richtig: Sie vermuten, daß die derzeitigen Befürworter des Gustav-Frenssen-Weges einfach nur nicht wüßten, wie sie sich ohne Gesichtsverlust aus ihrer Kampagne zurückziehen könnten. Da könnte ein anonymes Kreuzchen gegen den Frenssen-Weg am 30. November zur Problemlösung beitragen.