piwik no script img

■ VorschlagSaburo Teshigawara modelliert im Hebbel-Theater die körperliche Zeit

Wer macht die Zeit? In Saburo Teshigawaras Stück „I was Real – Documents“ sind es die Körper, die die Zeit manipulieren. Den Kopf voran, dem der Körper wie eine träge Magmamasse hinterherfließt, schrauben sich vier Tänzer schneckengleich in den Raum hinein: Da erscheint jeder Moment ohne Anfang und Ende. Zwischen diesen Strängen von Unendlichkeit durchstechen und durchlöchern andere Tänzer mit scharfen Gesten den Raum, so daß jede Sekunde das Bild der Vorigen auslöscht.

Einem Japan der Millionenstädte und der künstlichen High- Tech-Welten sind die Räume verbunden, die Teshigawara in den Bühnenraum stellt. Mit harten Schnitten in Licht und Ton setzt er Welten nebeneinander, für die neue Gesetze für Raum und Zeit zu erfinden sind. Stimmen werden als Schreie durch eine Echomaschine geschickt, die den Menschen vorauseilen und ihre Gegenwart vervielfältigen. Als ob sich die Klangwellen zu einer wasserähnlichen Materialität verdichten könnten, von denen die Glieder der Tänzer geschoben, gebogen und gewrungen werden, wirkt ihre körperliche Transformation. Dem Betrachter gellen bald die Ohren, und doch sinkt er selbst immer tiefer und nähert sich den Strömungen, von denen die Tänzer auf der Bühne schließlich wie ein Fischschwarm bewegt werden. Das hat etwas Grausames und Sanftes zugleich. Als ob der Raum zusammenbrechen würde, reduziert sich das Bühnengeschehen daraufhin kurz auf ein kleines, erleuchtetes Viereck. Im nächsten Bild reicht eine winzige Bewegung, die Aufmerksamkeit neu herzustellen: Ein Mädchen legt den Kopf zurück, um einem Vogel zu lauschen.

Teshigawara und seine Compagnie Karas kommen aus Tokio. Das Frankfurter TAT hat neben „Documents“ auch sein Solo „Here to Here“ koproduziert, das er am nächsten Wochenende im Hebbel- Theater zeigt. Selten ist Tanz so aufregend und spannend allein aus der Verwandlungskraft der Körper. Sie stampfen mit Füßen wie Bügeleisen über die Bühne oder kippeln in einer unhaltbaren, zerbrechlichen Balance auf den Zehenspitzen. Sie kontern den geschmeidigen Bewegungsfluß mit einem mechanischen Wegschnalzen und Zuschnappen einzelner Körperteile. Sie erinnern an Hongkong-Kampfmaschinen, und man findet Bilder vom Underdog, der wieder und wieder durch einen Tunnel kriecht, und Visionen vom Androiden. Doch die Bedrohlichkeit der Assoziationen aus der Welt des Dr. No wird aufgefangen durch die Wirklichkeit der Körper, die sich im Tanz ihrer selbst vergewissern. Katrin Bettina Müller

Teshigawaras „I was Real – Documents“, 5. August, „Here to Here“, 8. und 9. August, Hebbel-Theater, jeweils 20.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen