Rondo Von Klaudia Brunst

Erstaunlich eigentlich, daß ich es überhaupt wahrgenommen habe. Das Fahrrad meiner Freundin sieht nämlich eigentlich aus, wie alle Kreuzberger Räder auszusehen haben: schwarz (weil Alternativläden eine Vorliebe für diese Farbe haben), etwas angegammelt (damit es nicht geklaut wird), aber alles in allem von guter Qualität (schließlich gönnt man sich ja sonst nichts). Von daher hätte es mir eigentlich gar nicht auffallen dürfen. Um so mißtrauischer wurde ich, als mein Blick trotzdem darauf fiel. Irgendwie auffällig unscheinbar war es da vor der Bank am U-Bahnhof Mehringdamm an einem Laternenpfahl angeschlossen.

Wir hatten uns morgens getrennt. Ich sollte zum Südstern fahren, um in unserem Lieblingsblumenladen einen Blumenstrauß zu kaufen. Sie wollte zu Hause bleiben und derweil die Wohnung wischen. Ich hatte extra nicht das Fahrrad genommen, um die Blumen nicht zu beschädigen. Sonst wäre ich ja nicht am U-Bahnhof Mehringdamm vorbeigekommen. Dann hätte ich ihr Rad auch gar nicht gesehen. Ein Zufall also, wie er einmal in zehn Jahren vorkommt.

Zuerst dachte ich gar nichts dabei. „Ach“, dachte ich nur. „Ach, da steht ja ihr Fahrrad.“ Aber dann, als ich überlegte, ob es nicht viel netter wäre, hier auf sie zu warten, statt allein nach Hause zu laufen – da fing es an. „Ach?“ dachte ich noch einmal. „Was macht denn ihr Fahrrad hier?“ Mein erster Gedanke war: „Diebstahl“. Aber da war ja ihr Trelockschloß, sorgsam um den Laternenpfahl geschlungen. Dann dachte ich: „Bankgeschäfte“. Bis mir einfiel, daß sie ein Postgirokonto hat. Dann dachte ich: „Currywurst?“ Aber an unserer Lieblingsbude stand sie auch nicht. Außerdem war es 11 Uhr morgens. Da wurde ich dann wirklich unruhig. Bei Lichte betrachtet gab es keinen vernünftigen Grund für ihr Fahrrad am Mehringdamm. Außer vielleicht „Riemers, Nachfahre Kühn“, das Papierwarengeschäft. Aber das war auf der anderen Straßenseite. Und niemand braucht so lange, um einen Umschlag zu kaufen. Das Reisebüro? Hat dichtgemacht. Der Tabakladen? Sie raucht nicht mehr. Der Laden für Arbeitskleidung?

Hastig ging ich alle Möglichkeiten durch: Ich hatte nicht in absehbarer Zeit Geburtstag und auch in letzter Zeit nichts zu entschuldigen gehabt. Eine Überraschung fiel also aus. Auch der Fiseur war nicht in Laufnähe. Eigentlich konnte sie nur das Fahrrad abgestellt haben, um die U-Bahn zu nehmen. Aber unsere Monatsmarke hatte ich. Hatte sie deshalb das Fahrrad hier abgestellt, statt es mit in die U-Bahn zu nehmen? Beim Einzelfahrschein kostet die Mitnahme eines Rades oder Gepäckstückes nämlich extra. Aber wohin hatte sie fahren wollen? Ohne die Tiere?

Die Tiere! Jetzt wurde mir heiß. Da stand ich hier und dachte im Kreis, während ich zu Hause womöglich dringend gebraucht würde! Am Ende war wirklich etwas passiert: der Kater aus dem Fenster gestürzt, der Hund an Rattengift erstickt? Aber warum hatte sie denn nur nicht das Auto genommen? Zu aufgeregt? Aber ein Taxi? Bestimmt hätte sie ein Taxi genommen.

Zu blöd eigentlich, daß überhaupt mein Blick darauf gefallen war. Wo es doch aussieht, wie alle Kreuzberger Fahrräder auszusehen haben. Schwarz, etwas angegammelt, aber von guter Qualität. Warum es hier nur steht?