Referat 214 arbeitet zu Hause

Telearbeit im Forschungsministerium: Wie Abteilungsleiter lernen, daß der Unterschied zwischen Politik und Praxis im Versenden einer E-Mail bestehen kann  ■ Von Daniela Weingärtner

Referat 214 bei der Arbeit. Referatsleiterin Helga Ebeling hockt auf der Kante eines Gartenstuhls auf ihrer Terrasse in Godesberg. Sie brütet über dem Vortrag, den sie morgen bei der Fachkonferenz halten wird. In der zum Wintergartenbüro umgebauten Garage sirrt das Faxgerät. Im Wohnzimmer sitzt die Teenie-Tochter vor dem Viva-Programm.

Bei ihrer Stellvertreterin Karin Kristina Wicke in der Bonner Südstadt pfeift der Teekessel. Die 55jährige werkelt in der Küche. Irgendwo klingelt das Telefon. Frau Wicke lauscht konzentriert, zuckt dann die Achseln. Das Klingeln kommt aus dem Telearbeitsbüro im Dachgeschoß. Bis sie die zwei schmalen Stiegen hochgelaufen ist, hat der Anrufer aufgegeben. Das weiß sie aus Erfahrung.

Zur gleichen Zeit holt Manfred H. seinen siebenjährigen Sohn aus der Schule ab. N. hat sich an den neuen Arbeitsrhythmus seines Vaters gewöhnt. „Als ich sechs war, hab ich noch Grimassen geschnitten, wenn Papi telefoniert hat. Jetzt nicht mehr“, sagt er stolz. Seit Januar arbeitet sein Vater im Referat 214, „Frauen in Bildung und Forschung“.

626 Referate hat das BMBF, das Superministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie – auch Zukunftsministerium genannt. Auf dem Papier logiert 214 zwischen „Berufsbildung und Arbeitsmarkt“ und „Innovationen im allgemeinen Bildungswesen“. Im Kollektivbewußtsein des Ministeriums logiert 214 irgendwo in der Exotik.

Zum einen ist Frauenbildung nach Meinung der meisten Mitarbeiter ohnehin ein exotisches Thema. Zum anderen ist Helga Ebelings Mannschaft zwei Tage in der Woche nur noch virtuell vorhanden. Seit knapp einem Jahr testet das gesamte Referat die Telearbeit. Wer das BMBF anwählt und sich auf der Suche nach 214 in der Telefonanlage verheddert, bekommt irgendwann zu hören: „Die sind heute nicht zu erreichen. Die machen Telearbeit.“

Natürlich sind die von 214 über solche Sprüche nicht gerade glücklich. Technische Einrichtungen, die das Problem aus der Welt schaffen könnten, sind seit geraumer Zeit auf dem Markt. Im Zukunftsministerium wird aber die automatische Rufumleitung stockwerkweise eingeführt: Bis zu 214 ist die Telekom noch nicht vorgedrungen. Mit der herkömmlichen Rufumleitung per Tastenkombination stehen einige im Referat immer noch auf Kriegsfuß. Stirnrunzelnd betrachtet Karin Wicke das Telefon in ihrem Studierzimmer. Warum klingelt es jetzt unten, wo sie doch eigentlich für oben …

Natürlich hat die unfreiwillige Rufumleitung ins Nirgendwo auch Vorteile: So läßt sich endlich in Ruhe an Texten feilen. Wenn sie mit ihrer Freundin und Vorgesetzten Ebeling dran ist „an so ganz heißen Kisten“, wird die halbe Nacht wild gemailt. Der fertige Text landet bei der Schreibkraft in der Mail-Box, die ebenfalls eine begeisterte Nachtarbeiterin ist. Am nächsten Morgen liegt dann das fertige Manuskript vor. Auf dem Papierweg wäre so was nicht zu schaffen.

Innerhalb von wenigen Monaten ist Karin Wicke von der Technikfeindin zum PC-Freak mutiert. Eine Kollegin hat ihr in den ersten schweren Stunden vor dem Bildschirm Mäuschen und Händchen gehalten. „Wenn das wieder abgebaut wird“, sagt sie und schließt mit ihrer Geste Acrylschreibtisch, Blümchensofa und die fauchende schwarze Katze ein, „dann kauf' ich mir selber so ein Ding.“

Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter rühren nach ihrer Beobachtung „das Ding nicht an“. „Wenn die eine Mail bekommen, lassen sie sich die von ihrer Sekretärin vorlegen“, sagt Karin Wicke spöttisch. Männer wollen, so glaubt sie, die Untergebenen vor sich sehen, ihre Macht vor Augen haben. „Frauen brauchen diese Hackordnung nicht. Die E-Mail hebelt den Dienstweg aus. Die Hierarchie gerät aus den Fugen.“

An die derben Späße der ersten Wochen erinnert sich Karin Wicke noch gut. „Telearbeit, soso. Macht ihr wohl im Schwimmbad …“ Gegen Vorurteile und Anfeindungen, gegen den Neid mancher Kollegen sind die Teilnehmer am Modellversuch enger zusammengerückt. Inzwischen gehören die Kalauer der Vergangenheit an. Aber Vorbehalte sind geblieben. „Ich kann niemandem unter 35, der Karriere machen will, raten, Telearbeit zu machen“, wird ein Abteilungsleiter des Wirtschaftsministeriums gerne zitiert.

Die Chefs im Zukunftsministerium hören solche Sprüche offiziell mit Abscheu. Sie liegen – natürlich – voll auf Linie ihres Ministers, der Telearbeit zu seiner Herzensangelegenheit gemacht hat: „Wir erhoffen uns eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Mehr Zeitsouveränität für den Arbeitnehmer. Wegfall von Zeit- und Wegekosten, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, hat Jürgen Rüttgers jüngst auf einer Pressekonferenz erklärt.

„Eine einsame Entscheidung, ohne Rückhalt des Ministeriumsapparats, die von den Abteilungsleitern zähneknirschend hingenommen wird“, nennt Stephan Oldenburg Rüttgers Modellversuch im eigenen Hause. Oldenburgs Kölner Projektgruppe für Unternehmensentwicklung betreut den Modellversuch mit betriebswirtschaftlichen und informationstechnologischen Tips. Regelmäßig treffen sich die Telearbeiter bei ihm, um ihre Sorgen loszuwerden.

„Im Referat zeigen sich Abstimmungsprobleme mit Referaten, die nicht vernetzt sind“, schreibt Helga Ebeling in ihrem ersten Erfahrungsbericht. „Es zeigen sich einige Planungsprobleme bei Terminabstimmungen mit Vorgesetzten und gewisse Hemmungen, bei telearbeitenden Kollegen zu Hause anzurufen.“ Dieser Bericht ist auch ein knappes Jahr später noch aktuell. Tatsächlich sind die Arbeitsplätze zu Hause bis heute nicht mit dem Netzwerk des Ministeriums verbunden. Auch ein Zugriff aufs Internet ist nicht möglich. Die Schuld liegt diesmal nicht bei der Telekom. Der Wahnsinn hat Methode – dahinter steckt die Angst vor Datenklau.

Wie schwärmte der Zukunftsminister doch vor der Presse? „Ich bin fest davon überzeugt, daß wir uns in Deutschland mental unter Wert verkaufen. Wir liegen auf Platz zwei. In Sachen Infrastruktur sind wir die Besten. Nur bei der Anwendung haben wir noch Defizite.“ Die Infrastruktur des eigenen Hauses kann Rüttgers nicht im Blick gehabt haben. Nach wie vor bewegen die Telearbeiter Berge von Papier und müssen ins Ministerium fahren, wenn sie eine Akte dort vergessen haben.

Manfred H., der Quotenmann im Referat 214, braucht mehr als eine halbe Stunde für den einfachen Weg. Er wohnt in Remagen, 30 Kilometer vom Ministerium entfernt. Trotz aller Anlaufschwierigkeiten hofft er, daß das Projekt weitergeführt wird. Dann könnte seine koreanische Frau wieder eine feste Teilzeitstelle annehmen. Im Augenblick arbeitet sie nur abends in einem Restaurant.

Wenn der siebenjährige N. gefragt wird, was er von Papas neuem Arbeitsplatz hält, fällt ihm zuerst sein letzter Kindergeburtstag ein. Da haben seine Gäste ganz komisch geguckt. Sie dachten, ein Papi, der mitten in der Woche zu Hause sitzt, muß arbeitslos sein. Aber N. hat ihnen genau erklärt, was Telearbeit ist. Und daß man den Vater im Arbeitszimmer nicht stören darf. „Wenn ich ihm ein neues Bild zeigen will, gehe ich nur bis an die Tür. Dann frage ich ihn erst mal ganz nett: Willst du mein Bild sehen?“

Inzwischen hat sich die Familie so auf die neue Situation eingestellt, daß H. zu Hause mehr schafft als im Büro. „Es kommt schon vor, daß man es mal ruhiger angehen läßt. Dann setzt man sich dafür abends noch mal hin. Oder Samstag, wenn N. in der koreanischen Schule ist. Im Ministerium, da warten die anderen aus meiner Fahrgemeinschaft, da wird Punkt 15.30 Uhr die Kelle fallengelassen.“ Bei aller Begeisterung sieht Manfred H. aber das Problem, daß das Betriebsklima unter der neuen Arbeitsorganisation leiden könnte. „Manche Dinge vermitteln sich nicht am Telefon. Atmosphärisches, Privates bleibt auf der Strecke.“ Auch Karin Wicke will keinesfalls öfter als zweimal pro Woche zu Hause bleiben. Sie lebt allein und braucht den Kontakt zu ihrer beruflichen Umgebung. Auch käme in einer kleineren Wohnung für sie Telearbeit nicht in Frage. Schon mit zwei Stockwerken dazwischen sei es schwer genug, Arbeit und Privatleben auseinanderzuhalten. An ihren ersten Telearbeitstag erinnert sie sich noch ganz genau: „Morgens um sieben klingelte das Telefon. Natürlich mochte ich der Kollegin aus Leipzig nicht sagen: Rufen Sie zur Bürozeit an. Für die war das ja Bürozeit …“ Auch der wissenschaftliche Berater Stephan Oldenburg glaubt nicht, daß die Referatsleiterin oder ihre Stellvertreterin mehr als zwei Telearbeitstage pro Woche sinnvoll nutzen könnten. Lediglich fünf bis zehn Prozent aller Arbeitsplätze eignen sich nach seiner Beobachtung für permanente Telearbeit. Grundsatzreferate des Ministeriums gehören dazu. Reden und Konzepte lassen sich konzentrierter zu Hause schreiben. Aber die Vorbehalte der – männlichen – Vorgesetzten sind noch gewaltig. Sie haben Angst, daß ihnen die Kontrolle über ihre Mitarbeiter entgleitet.

„Früher ist der auch nie in mein Zimmer gekommen, um zu sehen, ob ich arbeite“, mokiert sich eine Informatikerin im Babyurlaub, die sich auf Anordnung ihres Chefs einmal pro Woche im Amt sehen lassen muß. An ihrem häuslichen Telearbeitsplatz sei sie doch genauso zu kontrollieren: „Der braucht doch nur nachzusehen, wann ich mich ein- und auslogge“, sagt die junge Frau achselzuckend. Daß der Chef vielleicht nicht weiß, wie das geht, verkneift sie sich hinzuzufügen. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist der Modellversuch im Hause Rüttgers ein teurer Spaß.

Zusätzlich zu ihrem Arbeitsplatz im Ministerium erhält jede Mitarbeiterin die identische Ausstattung noch einmal zu Hause hingestellt. Jeder Telearbeitsplatz kostet knapp 10.000 Mark. Für ein Unternehmen rechnet sich das nur, wenn gleichzeitig herkömmliche Bürokapazität eingespart werden kann. Mehrere Mitarbeiter benutzen umschichtig einen Arbeitsplatz, oder der Betrieb wandelt sich ganz in ein virtuelles Unternehmen um. Konferenzen werden von Fall zu Fall in Telearbeitshäusern oder bei Mitarbeitern zu Hause organisiert.

In einem Ministerium sind solche Lösungen natürlich ausgeschlossen. Die Geschäftsordnung legt auf den Quadratmeter genau fest, wieviel Bürofläche zu welcher Stufe auf der Karriereleiter gehört. Würde der Abteilungsleiter sich einen Schreibtisch mit seinem Stellvertreter teilen, käme das einer Degradierung gleich.

Kein Wunder, daß es sich der Zukunftsminister unter diesen Voraussetzungen verkneifen muß, einen großen Teil seiner 1.500 Mitarbeiter mit Telearbeit vertraut zu machen. Zwischen 10.000 und 30.000 Telearbeitsplätze gibt es derzeit in Deutschland. Viel zu wenige, meint Rüttgers. 800.000 sollen es – nach euphorischen Schätzungen – zur Jahrtausendwende sein. 19 davon im Zukunftsministerium – mindestens.