In Kattenturm ist niemand sicher

■ Nach den Straßenschlachten zwischen Jugendlichen und Polizei sind die Fronten verhärtet

In der kleinen Kattenturmer Kneipe unweit vom Marktplatz in der Gorsemannstraße herrscht schon am frühen Mittag Hochbetrieb. „Annngelllll“, schmettert die Kellyfamilie ihren Appell für eine bessere Welt aus der Jukebox. Ein Mann Mitte Fünfzig lehnt an der Theke aus Mahagoni-Imitat. „Das ist alles ein Generationskonflikt“, lallt er und starrt in sein halbvolles Bierglas. „Die Jugend von heute ist eben aggressiver.“

Binnen 24 Stunden haben sich rund 200 ausländische Jugendliche auf dem Marktplatz zweimal mit der Polizei regelrechte Straßenschlachten geliefert (siehe oben). „Rede nicht so n' Scheiß, Lothar“, herrscht die Wirtin den Mitfünfziger an und wischt mit einem rosa Tuch über die Theke. „Das hat mit Generationskonflikt nichts zu tun. Das sind die Türken. Die rotten sich zusammen, weil sie hier in der Minderheit sind und sonst nichts zu sagen haben.“

Angst hat die 26jährige schon lange nicht mehr. „Wir haben einfach abgeschlossen und die Gäste nicht mehr rausgelassen, als das losging“, erzählt sie so nüchtern, als spräche sie über das Wetter. „Ich bin hier aufgewachsen, da ist man abgehärtet.“Sie sei von einem Ausländer zusammengeschlagen worden, erzählt die junge Frau. Kurz darauf hätten ihr Jugendliche aufgelauert, die sie zuvor aus der Kneipe geschmissen habe, weil sie noch nicht 16 Jahre alt gewesen seien. Seitdem hält sie „lieber den Mund“.

„Wenn die Jugendlichen hier hereinkommen, lasse ich sie gewähren. Ich lasse sie den Spiegel kaputtmachen und die Handtücher runterreißen. Ich sage nichts mehr.“Hinter der Theke hängt ein vergilbter Zettel an der Wand: „Und aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir: ,Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen!' Und ich lächelte und war froh, und es kam schlimmer“, steht dort. „Einmal haben Jugendliche an meine Scheibe gebollert und beide Ausgänge blockiert. Die haben geschrien: ,Komm raus, wir bringen dich um'. Gott sei Dank, war alles dicht. Aber ich kam nicht mehr raus. Ich habe die Polizei angerufen, aber die hat nichts gemacht. Die haben nur gesagt, wenn die Scheibe zu Bruch geht, dann kommen wir. Vorher können wir nichts machen.“

Der Polizeibeamte auf der Wache, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Kneipe liegt, schüttelt den Kopf. „Wir dürfen nichts sagen. Aber eins können Sie mir glauben. Wir haben kaum den Bericht fertiggeschrieben, da lachen die Jugendlichen uns schon wieder durch die Scheibe an. Wir kommen nicht dagegen an. Ich glaube, das ist die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in diesem Stadtteil.“Wieviele Anzeigen registriert werden, weiß er nicht. „Es sind etliche, und es geht quer durch das Gesetzbuch.“

Auch der Innensenator hat keine genauen Zahlen über die Anzahl der Straftaten in den einzelnen Stadtteilen. Nur die Antwort auf eine CDU-Anfrage hat die Behörde zur Hand: 292 Fälle schweren Diebstahls wurden von Januar 1995 bis zum Oktober 1996 im Parzellen-Gebiet Kattenturms registriert. 78 Straftaten gingen laut Polizei auf das Konto von 23 Kindern, Jugendlichen und auch Heranwachsenden.

Seit 1994 bemüht sich der „Runde Tisch“darum, die Situation in Kattenturm zu entschärfen. Doch Cemal, Nafer, Kader, Thorsten, Mehmet und Ezettin haben noch nie etwas von einem Runden Tisch gehört. „Wir sind die Araber-Power“, sagt Ezettin. „Ich bin 14 oder 16 Jahre alt, wie du willst.“Autos aufbrechen sei seine „Lieblingsbeschäftigung“. „Das ist gagig. Klauen macht auch Spaß. Guck mal hier, das Handy. Geklaut“, sagt er stolz und deutet auf das Telefon im Gürtel.

„Ich haße Deutschland“, sagt auch die 18jährige Kader. „Es ist langweilig hier.“In der Türkei sei alles besser. Doch dorthin könne sie nicht. „Ich bin hier aufgewachsen.“Sie lacht, als sie gefragt wird, was sie beruflich macht. „Ich habe den erweiterten Hauptschulabschluß gemacht. Seitdem sitze ich zu Hause. Das geht vielen so. Die sind schon süchtig danach zu klauen oder Autos aufzubrechen. Die können gar nicht mehr anders. Auch wenn die in den Knast gehen, die machen trotzdem weiter.“Der einzige, der einen Job hat, ist Thorsten. Doch auch er ist schlecht zu sprechen auf „die Bullen“. „Nicht wahr, wenn du Bullen siehst, gehst du auf die los“, sagt er und tätschelt den Kopf seines Bullterriers. „Bullen fühlen sich in iher Uniform wie Gott. Mich haben sie auch schon mal zusammengeschlagen auf einer Wache. Die sollen ihre Uniform mal ausziehen und herkommen.“„Bullen sind Schweine. Die nehmen jeden fest, der schwarze Haare hat.“„Die hassen uns“, sagt ein zwölfjähriger Steppke. „Bullen sind voll die Nazis“, sagt eine 22jährige, die ihren Namen nicht nennen will. „Die haben es voll auf Leute mit schwarzen Haaren abgesehen. Ich bin froh, daß ich blond und deutsch bin. Aber neulich haben die auch meinen Bruder festgenommen. Und der ist Deutscher. Hier ist halt niemand sicher.“ kes