Dissidenten gefährden Bezirksreform

Fünf SPD-Abgeordnete und zehn CDU-Abgeordnete widersetzen sich der Bezirksreform. Eine Mehrheit für die Verfassungsänderung ist derzeit nicht in Sicht. Poker um Kompromisse  ■ Von Dorothee Winden

Im Widerstand gegen die Bezirksreform formieren sich kuriose Allianzen quer über die Parteigrenzen. „Das ist das erste Mal, daß ich mit Kurt Wansner einer Meinung bin“, sagt die Kreuzberger SPD-Abgeordnete Elga Kampfhenkel über ihren CDU- Kollegen. Eine verschworene Gemeinschaft bilden die vier widerspenstigen Kreuzberger Abgeordneten aus CDU und SPD nicht.

Doch wenn man sich begegnet, erkundigt man sich schon mal nach der Standhaftigkeit des anderen Lagers. Im Bezirk Wedding polemisiert der CDU-Abgeordnete Bernd Pistor zwar gegen die SPD, die er für die zunehmende Verslumung des Bezirks verantwortlich macht. Doch wenn es um die Zusammenlegung mit Prenzlauer Berg geht, ist er einer Meinung mit der SPD-Abgeordneten Heide Nisblé. Beide Bezirke haben überdurchschnittlich viele Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. „Das ist nicht zu verkraften. Wir wären das Armenhaus Berlins“, befürchtet Heide Nisblé. Gegen die Bezirksreform habe sie nichts, doch ihre Wunschpartner wären Tiergarten oder Pankow. Auch die Weddinger Direktkandidatin der SPD, Heidemarie Fischer, will gegen die Bezirksreform stimmen, ebenso wie die Abgeordnete Gabriele Schöttler aus Mitte.

Von den CDU-Abgeordneten haben sich bislang nur die beiden Kreuzberger Abgeordneten Kurt Wansner und Rainer Bleiler aus der Deckung gewagt. Der harte Kern der CDU-Dissidenten wird auf zehn Köpfe geschätzt. Nach der Sommerpause beginnt das Pokerspiel – dann wird versucht, noch das ein oder andere Zugeständnis zu erringen. „Wir werden das Gespräch mit der Parteispitze, dem Regierenden Bürgermeister und dem Innensenator suchen“, sagt Wansner. Er schlägt vor, die Gebietsreform zu verschieben, um zuerst die Verwaltungsreform in den Bezirken zum Abschluß bringen zu können.

Die Verhandlungsposition der Dissidenten ist denkbar günstig. Die Große Koalition braucht für die verfassungsänderne Mehrheit 138 Stimmen. Da die Opposition geschlossen gegen die Bezirksreform stimmen will, dürfen nur vier der insgesamt 142 CDU- und SPD- Parlamentarier aus der Reihe tanzen. Mit fünf Abweichlern in der SPD und zehn in der CDU ist derzeit keine Mehrheit in Sicht.

Für die Koalition steht viel auf dem Spiel. Wenn auch noch dieses Projekt der Großen Koalition scheitert, stellt sich erneut Frage nach ihrer Daseinsberechtigung. Bis zum geplanten Abstimmungstermin am 27. November wollen SPD-Fraktionschef Klaus Böger und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) mit den Abtrünnigen Einzelgespräche führen. Mit Elga Kampfhenkel hat Böger schon gesprochen. „Er hat keinen Zwang ausgeübt“, sagte die langjährige SPD-Abgeordnete. „Er hat mich gebeten, darüber nachzudenken.“ Und sich nach ihren Vorstellungen erkundigt: Kampfhenkel und Göttler wollen der Bezirksreform nur zustimmen, wenn damit eine Stärkung der Bezirke einhergeht. Deshalb müsse zeitgleich ein Beschluß über die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Senatsverwaltungen und Bezirken fallen.

Dies fordert auch ein SPD-Parteitagsbeschluß. „Wir wollen der CDU weiter Druck machen“, sagt SPD-Landesgeschäftsführer Rudolf Hartung. Die Bedenken der Bezirksreformgegner seien „ernst zu nehmen“. In der SPD gibt es Anzeichen dafür, daß man den abtrünnigen Abgeordneten die Zustimmung erleichtern will. Der Landesvorstand wird sich am kommenden Montag mit Alternativen zum Senatsmodell befassen. Nach einem „Tortenmodell“ soll darauf geachtet werden, daß nicht sozial schwache Bezirke zu neuen, großen Problemzonen zusammengelegt werden.

Sanktionen fürchten die Dissidenten nicht. Die Kandidaten für die Abgeordnetenhauswahl werden über Bezirkslisten gekürt. Da reicht der Bannstrahl der Parteizentrale nicht weit. Elga Kampfhenkel will ohnehin nicht noch einmal kandidieren. „Sanktionen? Ich verdiene mein Geld in der freien Wirtschaft“, sagt CDU-Mann Bleiler. Doch der Druck wird zunehmen. Nicht nur von seiten der Fraktionen, sondern auch aus den Bezirken. Der „Kreuzberg bleibt Kreuzberg“-Befürworter Hans- Joachim Kohl (SPD): „Ich hoffe, daß alle bei der Fahne bleiben.“