Stimmungsmache gegen Flüchtlinge

■ Vermeintliche Luxuswohnung einer Asylbewerberfamilie entpuppt sich als marktübliche Heimunterbringung

„Wenn in dem Heim etwas passiert, dann ist die Bild-Zeitung schuld“, empört sich Christoph Senoner. Sein Telefon im Steglitzer Sozialamt steht seit zwei Tagen nicht mehr still.

Bild hatte in den vergangenen Tagen einen angeblichen „Miet- Skandal“ aufgedeckt: So beschuldigte die Zeitung das Steglitzer Sozialamt, 5.742 Mark Miete für die 54-Quadratmeter-Wohnung einer siebenköpfigen Asylbewerberfamilie zu zahlen. Akribisch rechnete Bild aus, daß somit der Quadratmeterpreis bei 106,33 Mark liege. Um die Geschichte „authentisch“ zu gestalten, wurde der Vater der Familie gleich mit vollem Namen genannt, die vollständige Adresse des Hauses geschrieben und ein Foto abgedruckt. Das süffisante Fazit der Bild-RedakteurInnen: „Kein Wunder, daß wir pleite sind“.

Seit der Veröffentlichung hat Senoner „übelste Beschimpfungen und Drohungen aus der Bevölkerung bekommen“. Sogar aus dem süddeutschen Ulm gab es den erregten Anruf eines Mannes, der über die Verschwendung von Steuergeldern hetzte.

Doch Bild hat in ihrem ersten Bericht einige Details verschwiegen, die den „Skandal“ in ein völlig anderes Licht rücken: Denn es handelt sich bei der „54-Quadratmeter-Wohnung“ mitnichten um „ein eigenes Apartment“ in einem normalen Mietshaus, sondern um Heimplätze in einem Heim für AsylbewerberInnen. Der Preis ist deswegen so hoch, weil der Tagessatz, den das Sozialamt an die Heimbetreiber, die Haus-und Wohnungsbauten GmBH (HaWo), zahlt, bei rund 27 Mark täglich liegt. Bei einer siebenköpfigen Familie kosten die 54 Heimquadratmeter deshalb über 5.700 Mark monatlich. Bild klärte über diesen Sachverhalt jedoch erst einen Tag später auf, in dem die RedakteurInnen in einem weiteren Artikel das komplizierte Abrechnungssystem deutlich machten. Doch Senoner ist trotzdem sauer: „Der Artikel war völlig irreführend und hat falsche Assoziationen wachgerufen.“ Er sorge sich nach den wütenden Anrufen deshalb ernsthaft um die Familie und die anderen HeimbewohnerInnen.

Derzeit prüft das Sozialamt, ob die Familie tatsächlich in eine richtige Wohnung umziehen kann. Denn so einfach ist das nicht: Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Willen des Senats sollen AsylbwerberInnen vorrangig nur noch in Heimen untergebracht werden. Doch in diesem „Einzelfall“ wolle das Steglitzer Sozialamt „wohlwollend“ prüfen, sagt Senoner. So habe sich die Familie eine Wohnung gesucht, die monatlich nur 1.500 Mark koste. Für Bild ein weiterer Anlaß zu skandalieren: Die Boulevardzeitung machte aus der Ausweichwohnung gleich eine neue „Traumwohnung mit Gäste-WC“ in einer „vornehmen“ Steglitzer Straße. Senoner sieht das anders: „Hier handelt es sich um eine ganz normale Wohnung.“ Julia Naumann