Jung, sauber, sympathisch, weiß

Llewellyn Herbert wird Zweiter über 400 Meter Hürden hinter dem Franzosen Diagana und gewinnt als erster Südafrikaner eine WM-Medaille  ■ Aus Athen Peter Unfried

Meistens drängeln sich ja die Leute, doch diesmal war der Interviewraum fast leer. Die Franzosen waren abgezischt, den Weltmeister Stephane Diagana im Schlepptau, die US-Jungs gar nicht erst gekommen, nachdem ihr Topfavorit Bryan Bronson bloß als Dritter ins Ziel getrudelt war. Einer war auf dem Podium sitzen geblieben. Eine Kamera stand noch in der Ecke, hielt auf den jungen Mann. Daneben stand David van der Zandt und sagte zufrieden: „Das zeigen wir jetzt die ganze Nacht.“ Der nationale Sender, die South African Broadcasting Corporation, hatte dem Land gerade „a new kid on the block“ präsentieren dürfen, einen eben gewordenen Helden, live in den Acht-Uhr- Nachrichten.

Llewellyn Herbert (20) ist der Mann, der die erste WM-Medaille für Südafrika geholt hat, Silber über 400 Meter Hürden mit neuem Landesrekord (47,86 Sekunden), geschlagen nur vom wiedergenesenen Europarekordler Diagana (47,70). Auf der Innenbahn laufend, hatte er mit einer gewaltigen Energieleistung nach der letzten Hürde zunächst den alten Recken Samuel Matete abgehängt, dann auch noch den völlig frustrierten Bronson überlaufen.

Nach der Überwindung der Apartheid und der internationalen Ächtung durfte der Verband 1993 erstmals bei einer WM mitmachen. Platz vier des Stabhochspringers Okkert Brits war seither das beste Ergebnis. Diesmal ist man mit 20 Männern und sieben Frauen gekommen. „Die Leute sollen sehen“, sagt Herbert, „daß südafrikanische Athleten international wettbewerbsfähig sind.“ Sie sollen es nicht bloß, sie wollen es: Das Bedürfnis der Leute nach Athleten, die international bestehen, ist längst nicht gesättigt.

Mit Politik hat das alles nichts zu tun. Über Nelson Mandela mag Herbert deshalb auch nicht reden. Mit Politik hat das natürlich zu tun, sagt Fernsehredakteur van der Zandt und verweist auf Josef Thugwane, der in Atlanta den Marathon gewann und wie der 800- Meter-Medaillenkandidat Hezekiel Sepeng aus einem Township kommt. Der gelernte Rinderhirte Thugwane wurde als erster schwarzer Olympiasieger Südafrikas vor allen Rugbyspielern zum Sportler des Jahres gewählt. Das Interesse an den neuen Helden sei rassenübergreifend und helfe, das Land zu einen, sagt van der Zandt. Andererseits hat Thugwane inzwischen sein Township nach zwei Mordversuchen verlassen. Die Nachbarn hielten den berühmten Sportler für reich. Für die WM sagte er ab.

Herbert lebt, trainiert und studiert in Pretoria. Natürlich ist er Vollprofi, übt auf dem Unigelände, aber Scheine, sagt er, müsse er schon auch machen. Sein Geld muß er nicht in einer Kantine verdienen wie Thugwane. Er ist einer der wenigen, denen man ein Rundum-Sorgenfrei-Paket aus Verein (Mr. Price), Sponsoren (Auckleys), Verband, Schuhfirma (adidas) und Eltern (wohlhabend) geschnürt hat. Herbert hat einen rasanten und sehr erstaunlichen sportlichen Aufstieg hinter sich. Im Vorjahr lief er 49er Zeiten, dieses Frühjahr 48er, im Juli in Stuttgart schlug er dann in 47,97 Sekunden sogar Diagana.

Der Leichtathletik in Südafrika allerdings geht es, wie andernorts auch, gar nicht gut. „Sie stirbt“, fürchtet Herbert. Es gibt Meetings, doch die größeren finden auf Sponsorendruck allesamt Ende März, Anfang April statt, was einen vernünftigen Saisonaufbau schwierig macht. Neulich war er in Durban, Studentenmeisterschaften, „da waren nur Athleten“.

Das soll sich ändern. Herbert will die Sportart „auf die Landkarte bringen.“ Nichts weniger will er werden als „der neue Edwin Moses“. Ein weißer Südafrikaner, der werden will wie ein Schwarzer, das klingt gut. Nein, mit Politik hat das nichts zu tun. Moses, der zweifache Olympiasieger, war „der beste Hürdenläufer der Welt“, Herbert will es werden.

Zwölf offizielle Sprachen hat das Land, Herberts erste ist Afrikaans, die Sprache der Buren. Fernsehmann van der Zandt unterhält sich mit ihm in Afrikaans. Wenn die Kamera läuft, reden sie Englisch. Herberts Englisch ist nicht perfekt. Aber man kann es senden, sagt der Fernsehmann. Bei Thugwane zum Beispiel geht das weniger gut. Der ist im Moment dabei, es zu lernen. Wie Lesen und Schreiben auch.

Thugwane ist ein Role Model, Herbert kann auch eines werden. Wie der Marathon ist auch 400 Meter Hürden eine Disziplin für Männer, die sich quälen können, richtig quälen – und nicht verzagen, auch wenn der Brustkasten zu bersten scheint und der Körper auseinanderfallen will. Im Gegensatz zum zurückhaltenden Marathonläufer wird Herbert aber danach erst richtig fröhlich und sagt Sachen wie: „Na ja, Innenbahn. Mir doch egal. Ich mag die Innenbahn.“

Was der SABC-Mann an Herbert schätzt? „Er ist jung, sauber, sympathisch und unschuldig“, sagt van der Zandt. Dies mit Vorbehalt: Man kann sich nicht helfen, aber irgendwie klingt es, als sei das Adjektiv „weiß“ in dieser Aufzählung unausgesprochen enthalten.