50 Tatzeugen, aber kein Extrakt

■ Landgericht Hamburg spricht den als „Gänsemarkt-Mörder“angeklagten Stefan Frank E. aus Mangel an Beweisen frei

Das Jackett zieht er zur Urteilsverkündung extra wieder an. Wischt sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Ein nervöser Blick zu seinem Anwalt. Dann das Urteil: Freispruch. Und wieder der Griff zum Taschentuch. Stefan Frank E. konnte „mangels Beweisen“nicht als „Mörder vom Gänsemarkt“überführt werden, befand gestern das Landgericht Hamburg.

Es ist der lange Donnerstag, ein Abend im vorigen Oktober. Auf dem Gänsemarkt herrscht munteres Konsumtreiben. Da betritt ein Mann den Juwelierladen Gemp, hält dem Besitzer eine Pistole und eine Tasche vor, die dieser mit Geld füllen soll. Der Täter flieht aus dem Laden, Harald Gemp rennt ihm nach und versucht, ihm den Beutel wieder zu entreißen. Es kommt zum Gerangel. Aus einer anliegenden Kneipe eilt Rolf Pohlmann Gemp zu Hilfe – und wird erschossen.

Daß Stefan Frank E. der „Mörder vom Gänsemarkt“ist, davon zeigte sich Staatsanwältin Gisela Menke überzeugt. Sie forderte eine lebenslange Freiheitsstrafe für den Angeklagten. Daß sie zu dem Ergebnis kaum aufgrund der Beweisaufnahme gekommen sein kann, sondern wohl „Druck von oben bekommen hat“, hielt ihr der Verteidiger von E., Philipp Napp, entgegen. Er sah seinen Mandanten durch keine der über 50 TatzeugInnen als Täter identifiziert.

Das Gericht nun wählte einen Mittelweg. Der Vorsitzende Richter Helmut Brauer befand, daß nach dem „Extrakt aus verschiedenen Täterbeschreibungen“der Angeklagte jedenfalls vom Typ her zwar der Täter sein könnte. Etliche der Zeugen hatten E. aber nicht wiedererkannt oder als Täter sicher ausgeschlossen. Da es darüber hinaus weder Indizien noch kriminaltechnische Untersuchungen gäbe, die die Anklage stützten, reiche die Belastung nicht aus.

Der Freispruch war abzusehen. Denn vor zwei Wochen hatte das Gericht E. bereits aus der Untersuchungshaft entlassen. So zeigte sich auch Anwalt Napp nicht weiter überrascht, wenn er sich auch die klare Aussage, sein Mandant sei eindeutig unschuldig, gewünscht hätte. Aber: „Bei über 50 Tatzeugen ist die Unschuld ebenso schwer nachzuweisen wie die Schuld“.

Der „Mord vom Gänsemarkt“hatte seinerzeit vor allem deshalb für Schlagzeilen in der Boulevardpresse gesorgt, weil das Opfer Rolf Pohlmann zum Märtyrer stilisiert werden konnte, nach dem Motto: „Endlich mal einer, der eingreift, und das hat er dann davon“. Dünner wurden die Schlagzeilen dann allerdings, als sich rausstellte, daß Pohlmann selber auch Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hatte. Elke Spanner