Ja, wo schwimmen sie denn?

Im Ohlsdorfer Frei- und Hallenbad wacht Schwimmeister Jens Nettermeyer über 4,5 Millionen Liter Wasser  ■ Von Judith Weber

Irgendwie hatte er sich seinen Beruf anders vorgestellt. „Ich dachte, man steht ein bißchen am Beckenrand, klönt 'ne Runde und so.“Und dann das: Konferenzen, Gehaltsabrechnungen und Schichtpläne. Wasserfilter reinigen. Freibad-Sommerfeste planen und Streit zwischen SchwimmerInnen schlichten. Klingt, als sei Jens Nettermeyer Sachbearbeiter in Wasserfragen und nicht Schwimmeister.

Aber auf den Fliesen im Büro sind nasse Sohlenabdrücke. Nettermeyers Füße unter dem Schreibtisch stecken in Badelatschen. Shorts und Polohemd hat er an, sein „Weißzeug“, im Ausschnitt baumelt ein goldener Delphin. Durch die Bürogardine blickt der Leiter des Ohlsdorfer Hallen- und Freibades über seinen Arbeitsplatz. 4,5 Millionen Liter Wasser faßt der, und täglich bis zu 2500 Menschen.

Die meisten sind von Badekappe bis -latschen auf Freizeit eingestellt. Ein Vater krümelt Keksreste auf die Wiese, zwei Jungen schmeißen einen dritten ins Schwimmerbecken. Ein Narr, wer sich unbeobachtet wähnt. „Gleich am Eingang gucken wir uns die Leute an“, erzählt Jens Nettermeyer. „Da sehen wir schon, ob jemand agressiv wirkt.“

Ein Kassenautomat mit Drehkreuz kommt dem 41jährigen deshalb nicht ins Bad. Augen sehen eben mehr als Kameras. Was an Badehosen, -anzügen und Bikinis gerade modern ist, kann Nettermeyer auswendig herunterspulen. „Dieses Jahr tragen auch viele Männer Badeanzüge“, erzählt er, und daß es ihm kaum noch auffällt, mit was und ob jemand überhaupt bekleidet ist. Nach 23 Jahren Wächterdienst in Hamburgs Schwimmbädern „achtet man nicht mehr auf sowas“.

Als ein Mädchen einen Bauchklatscher vom Beckenrand macht, schaut Jens Nettermeyer nur flüchtig hinüber. „So polizistenmäßig wie früher“ist man schließlich nicht mehr. Daß mal jemand ohne Badekappe planscht oder vom Rand springt, ficht seine Schwimmeistergeneration nicht an. Erst bei pöbelnden Jugendlichen hört die Toleranz auf. „Die gliedern wir möglichst schnell ins Programm ein“, erklärt Nettermeyer. In Tauchaktionen beispielsweise, Streetballturniere oder Disco-Abende. Bindegewebsgymnastik zu Wasser gibt es auch, aber die ist Nettermeyers Sache nicht. Er geht lieber joggen. Oder kommt morgens eher zur Arbeit, um zu schwimmen – meistens „gegen fünf“und unbeobachtet.

Tagsüber sitzt der Badleiter auf dem Trockenen. Entweder im Büro, auf dem Hochsitz oder auf dem Wachtürmchen. Rund 1200 Quadratmeter Wasserfläche gilt es im Freibad zu überblicken. Kein Problem, findet Nettermeyer. „Ganz auf den Beckenboden kann man zwar nicht gucken“, gibt er zu. „Aber hinstarren bringt auch nichts.“Länger als eine halbe Stunde kann sich niemand auf die spiegelnde Wasserfläche konzentrieren. Und was ein erfahrener Schwimmeister ist, der „hat nach ein paar Jahren im Gefühl, wenn was los ist.“Damals zum Beispiel, als in der Alsterschwimmhalle ein Kind bewußtlos auf dem Beckenboden lag. „Das Wasser war total aufgewühlt, man konnte eigentlich nichts sehen“, erzählt Nettermeyer. Reingesprungen ist er trotzdem. „Ich hatte einfach das Gefühl: Da stimmt was nicht.“

Daß ein Schwimmeister „wie bei Baywatch“ins Wasser hechtet, ist selten. Wenn die Badegäste im Ohlsdorfer Bad Hilfe suchen, meinen sie meistens Pflaster. Wie die Frau mit dem Kleinkind, dem eine Scherbe im Weg lag. Nettermeyer verfrachtet das Kind auf eine Liege und verklebt den blutenden Fuß. „Eigentlich“, verkündet er, „müßten wir einen Mitarbeiter zum Pflastern einstellen.“

Das ist nur halb ein Scherz. Denn die sechs SchwimmeisterInnen und -gehilfInnen, die pro Schicht im Ohlsdorfer Bad arbeiten, sind mehr als ausgelastet. „In den Ferien stellen wir oft Saisonkräfte ein“, sagt Nettermeyer. Bis die sich eingearbeitet haben, muß der Badleiter nicht nur die Gäste beobachten, sondern auch das Personal.

Vor 23 Jahren brauchte der Badleiter selbst noch Aufsicht: Er jobbte als Helfer im Bad. Das Schwimmen hatte er sich selbst beigebracht. Das war 1974. Dann kam die Ölkrise, und Nettermeyers Lehrstelle im Triebwerkebau wurde gestrichen. „In die Bad-Ausbildung bin ich so reingerutscht“, erzählt er. Erst wurde er Schwimmeistergehilfe, dann Meister. „Ein Riesen-Aufgabenfeld hat man hier“, leitet Nettermeyer eine wort- und zahlenreiche Erläuterung der Filtersysteme unter dem Becken ein. Auch den „Freizeit- und den Sportmarkt“müsse er ständig beobachten, um keinen Trend zu verpassen. Im Büro wartet eine Kiste mit Expandern auf die Naß-Gymnastik.

„Satt hatte ich das noch nie“, sagt er. Nur wenn der Job zu sehr streßt, fährt er in den Urlaub. Meistens ans Meer.

Ende der Serie