Untauglich für zuckrige Show

Michael Johnson kann der Leichtathletik-Weltmeisterschaft trotz seines Sieges über 400 Meter diesmal nicht den ganz großen Höhepunkt geben  ■ Aus Athen Peter Unfried

Gute Freunde steh'n zusammen. Michael Johnson, der ein ausgeprägter Freund von Tautologien ist, würde es so sagen: Gute Freunde sind gute Freunde. Jedenfalls sind sie da, wenn man sie braucht. Und Primo Nebiolo ist halt ein guter Freund. „Manche sind dafür, manche dagegen“, sagte Johnson in seiner unnachahmlichen Art, „aber ich finde es natürlich gut.“ Die Rede ist von jener Wild Card, die Nebiolos Weltverband IAAF eigentlich nur erfand, damit sein wichtigster Mann in Athen doch wieder glorreich Weltmeister werden konnte, nachdem er sich bei den US-amerikanischen Trials verletzungsbedingt nicht für die WM qualifiziert hatte.

So glorreich ist es allerdings nicht geworden. Eher ein hartes Stück Arbeit, bis Johnson am Dienstag abend den 400-Meter- Lauf in 44,12 Sekunden gewonnen hatte. Da war der Vorlauf, der Zweifel nährte. Es folgte der Zwischenlauf, in dem er, zu früh abbremsend, fast rausgeflogen war. Und dann ereilte Johnson nach 250 Metern auch noch eine Art Blockade in jenem linken Oberschenkel, der ihn am 1. Juni im Zirkusrennen von Toronto gegen Donovan Bailey um den Titel des schnellsten Mannes der Welt eine Million Dollar, später in Paris seine achtjährige Siegesserie über 400 Meter gekostet hatte. „Oh Gott, nicht auch noch das“, dachte er, und all das raste ihm im Kopf herum. Eine halbe Sekunde, schätzt er, habe ihn der Schock gekostet. Statt wie geplant zu beschleunigen, verlor er die Konzentration und bremste sichtbar. Aus der letzten Kurve kam er bloß als Dritter hinter dem Briten Iwan Thomas und Landsmann Tyree Washington, merkte aber, „daß ich wieder anziehen konnte“. Das tat er denn auch. Thomas, der Drittschnellste des Jahres, hatte zeitweise gehofft, in Abwesenheit von Johnson zu gewinnen. Nachdem der doch da war, hatte er umdisponiert und alles riskiert. „Ich dachte, ich könnte Johnson kriegen“, sagte er. 300 Meter „gab ich meine ganzen 100 Prozent“. Dann war er bei null und blieb zur Strafe für seine Hybris hinter dem Ugander Kamoga (44,37), Washington (44,39), Richardson und Young ganz ohne Medaille.

Überhaupt wurden alle abgewatscht, die gehöhnt hatten nach seinem Ausstieg aus dem 150-Meter-Rennen gegen Bailey, die gezweifelt hatten an seiner Fitneß und wie US-Kollege Washington gar an seinem „Herzen“. Na ja, der Bronzemedaillengewinner ist 20 und gerade auf die Uni gekommen. So was, meinte Johnson versöhnlich, sei eben „ein Freshman- Fehler“. Es war mehr. Der Versuch, den vorher Unantastbaren zu den Irdischen zurückzukriegen.

Aber Johnson ist auch ohne Bestform immer noch der Beste. Es ist nur nicht mehr wie in Göteborg und Atlanta gewesen, als den Zusehenden schwindlig wurde ob der wirklich unerhörten Geschwindigkeit des Texaners.

Mittels gewiefter Strategie hatte Manager Bradley Hunt seinen Mann zum unumstrittenen Marktführer gemacht. Die Aufbereitung der Leichtathletik durch den US- amerikanischen Fernsehrechteinhaber NBC funktioniert, wenn überhaupt, über ihn. Eigentlich aber ist Michael Johnson ein gutmütiger Junge aus Dallas, Texas. Für die richtige, die große, die zuckrige Show, die NBC anrührt, taugt er nicht. Johnson macht ab und zu einen netten Witz, aber seine Standards („Ich versuchte, das Beste zu geben, was irgendeiner geben kann“) sind inzwischen so interessant wie eine Debatte über seinen seltsam aufrechten Laufstil. Johnson funktioniert nur auf der Bahn. Insofern hat er in Athen nur bedingt funktioniert. Er hat seinen Job getan, aber er hat Nebiolos Veranstaltung nicht den Glanz gegeben, mit dem der hätte werben können. Göteborg war eine „Mission“, als erster Sportler 200 und 400 Meter zu gewinnen. Atlanta war dasselbe, potenziert mit Olympia, wodurch die Großtat sogar in den USA wahrgenommen wurde. Aber Athen?

„Das war auch etwas Besonderes“, versicherte Johnson und zählte noch einmal die gesammelten Zweifel der Menschheit an ihm auf. Für den Athleten Johnson mag das stimmen. Ein Weltmeistertitel ist ein Weltmeistertitel – und sieben Weltmeistertitel sind mehr als sechs. Vielleicht werden es ja sogar noch acht, so viele, wie sie sonst nur noch einer aufzuweisen hat: Carl Lewis, der Johnson in den vergangenen Jahren manche Show stahl. Am Sonntag kommt die 4x400-m-Staffel, und wenn die Trainer ihn lassen, sagt er, „werde ich auch rennen“. Sie werden sich hüten, ihn nicht zu lassen.

Eigentlich fängt die Saison für ihn ja erst an. Zuletzt hat er nur trainiert, nun will er laufen. In Zürich über 400 Meter, danach in London, Brüssel, Berlin. Noch fehlt ihm die Jahresbestleistung über die 200 Meter. Einen richtigen Hammer könnte man schon noch brauchen. Ein Zweikampf mit dem Mann, der morgen 200- Meter-Weltmeister wird zum Beispiel, irgend etwas, was in Erinnerung bleibt. Nächstes Jahr sind schließlich weder Olympische Spiele noch WM. Und im September wird Michael Johnson auch schon 30 Jahre alt. Manager Brad Hunt, gefragt, ob er zufrieden sei mit dem Ergebnis von Athen, sagt knapp: „Natürlich. Er hat Gold gewonnen.“ Und die Weltmeisterschaft? „Kein Grund zur Klage.“ So richtig überzeugend klingt das aber nicht.