Die drei aus der Telefonzelle

Beamtenwillkür treibt mich fort! „Gridlock'd – Voll Drauf“, der wahrscheinlich letzte Film mit dem erschossenen 2Pac Shakur, eine Drogen-und-Ämter-Odyssee durch New York  ■ Von Andreas Becker

Sie sind ein Trio. Nachts spielen sie Jazz in einem kleinen Club in Detroit, am Tage erholen sie sich in ihrer schmuddeligen Wohnung und nehmen die Drogen, die noch vom letzten Tag herumliegen. Scheinbar ziemlich glücklich, die drei. Dummerweise injiziert sich Cookie am Sylvesterabend eine Überdosis in ihren zarten, grazilen Oberarm. Ihre beiden Freunde Stretch und Spoon schleifen sie in die Badewanne, rütteln an ihr herum, aber Cookie bleibt bewußtlos. Also haken sie sie unter, versuchen draußen auf der Straße ein Auto oder Taxi anzuhalten. Vergeblich. Dann klemmen sie sich zu dritt in die örtliche Telefonzelle – aus der Entfernung, in ihrer regungslosen Warterei betrachtet, ein richtig romantisches Bild – und rufen einen Krankenwagen. Aber in dieser Gegend scheint man nur ungern Leute zu retten. Also brüllt der schwarze Spoon in den Hörer: „He, hier wird gerade 'ne weiße Frau von drei schwarzen Kerlen fertiggemacht.“ Es kommt trotzdem niemand. Also laufen.

Bevor Cookie endlich (fast tot) in einem Krankenbett landet, sind noch einige Hürden der amerikanischen Gesundheitsversorgung zu überwinden. Leider sehen wir die schöne Cookie nur noch selten, dafür dürfen wir Stretch (Tim Roth) und Spoon (2Pac Shakur) auf einer abenteuerlichen Odyssee durch versiffte Dealerlofts und miefige Sozialamtswartehallen mit absolutem Rauchverbot folgen. Immer auf der Flucht vorm nächsten Affen (Entzug), der Polizei und schießwütigen Dealern, denen sie unvorsichtigerweise Dope geklaut haben.

Regisseur Vondie Curtis Hall – er selbst spielt den finsteren Dealer-Killer mit schwarzem Todeshut – hat in seinem Regiedebüt seine Erfahrungen als Fernsehunfallarzt Dr. Dennis Hancock verarbeitet. Nein, „Gridlock'd“ – der prima danebene deutsche Untertitel lautet „Voll drauf“ – ist eine, öhm, ziemlich flotte Mischung aus Komödie, Sozialkritik und Gangsterjagd. Tim Roth schlappt als dauernarkotisierter Low-Level-Junkie durch die Gegend, aber logischerweise will er, wie ja scheinbar jeder ordentliche Junkie heutzutage, aussteigen.

Irgendwie will er aber natürlich auch weiter Drogen nehmen. Vor allem sein Kumpel Spoon hat seit der Einlieferung Cookies den Vorsatz fürs neue Jahr gefaßt: Keine Macht den Drogen. Die US-Regierung lockt sie obendrein mit dem Werbespruch, jeden sofort in ein Entzugsprogramm aufzunehmen, der es wirklich will. Davor aber hat die Bürokratie die Mühen der Ebene gesetzt, und die scheinen schier unüberwindbar. Wenn Spoon und Stretch nach stundenlanger Warterei endlich drankommen, fehlt ihnen irgendein Formular, oder Stretch rastet einfach aus, weil ihm das Gesicht eines Büroheinis hinter seiner Glasscheibe nicht paßt. Während Stretch nach dem kurzzeitigen Aufbrausen meist an der Schulter seines Kumpels eindöst, spielt Spoon den eloquenten Diplomaten. Vor allem wenn die Bürokraten schwarzer Hautfarbe sind, reitet Spoon gern auf der „Brother“-Schiene, was ihnen manch wertvollen Tip auf dem Weg zur nächsten Behörde verschafft. Der weiße Stretch wiederum nennt seine schwarzen Freunde gerne unverbindlich „mein Nigga“, worauf es still wird und er einen kalten Kolben am Ohr spürt.

Mitunter sympathisch ungelenk

„Gridlock'd“ surft sympathisch ungelenk, aber erfolgreich zwischen Sozialkitsch und -kritik. Gerade durch seine krude Übertriebenheit und seinen Hang zum Slapstick entsteht ein Junkiebild, das so unrealistisch nicht erscheint. Permanente Paranoia vor eigentlich harmlosen, weil total ungeschickten Verfolgern wechselt sich mit dem ernsthaften Anliegen ab, endlich diese Scheißdrogensucht loszuwerden – und dem nächsten Schuß. So ähnlich ist es wohl auch in echt: Man selbst ist schuld, und die doofe Gesellschaft ist auch schuld, weil sie einen trotz anderslautender Beteuerungen nicht aufnimmt (nicht nur in Entzugsprogramme). 2Pacs persönliche Geschichte wäre eigentlich einen eigenen Film wert. Vielleicht ist ihm in seiner Rolle als Spoon hier aber auch eine Art Gegenentwurf zu seinem wirklichen Leben gelungen. Der sanfte, liebenswerte Junge mit dem weichen Gesicht zupft den Jazzbass. Draußen, im real life, mußte er statt dessen den harten Kerl geben. Nicht ganz ohne Grund. Seiner Mutter wurde kurz vor seiner Geburt wegen mehrerer Bombenanschläge auf New Yorker Kaufhäuser der Prozeß gemacht. Sie war Mitglied der Black Panther und nannte ihren Sohn nach dem letzten Inkakönig, der von den Spaniern ermordet wurde: „ein Krieger“. Als Teenager las er die Autobiographie von Malcolm X. „Es bewegte und änderte mich. Für meine Mutter war ich der schwarze Prinz der Revolution“, sagte er laut New Yorker. „In meiner Familie ist jeder schwarze Mann mit dem Nachnamen Shakur spätestens mit 15 tot oder im Knast gewesen.“ 1988 verurteilte man seinen Stiefvater Dr. Mutulu Shakur zu 60 Jahren Haft, unter anderem für die Befreiung seiner Tante Assata Shakur aus dem Gefängnis. Sein Großvater war ein Black-Panther-Leader und wurde 1977 zu 27 Jahren Haft verurteilt. In der Schule bekam 2Pac öfter mal Besuch vom FBI, weil sie gerade wieder seinen Stiefvater suchten, der inzwischen zu einem der zehn Most Wanted aufgestiegen war. 2Pac selbst wurde überraschend an der Baltimore School for the Arts aufgenommen.

1992 zog er nach L.A. und schlug sich quasi allein durch South Central – er war weder bei den Crips noch bei der Konkurrenzgang Bloods. Er wurde Rapper. „Pac wurde der Sprecher des Ghettos. Er rappte unseren Schmerz“, sagte ein Kollege. Für viele wurde 2Pac erst richtig zum Raphelden, als er 1993 in eine Schießerei mit zwei Zivicops in Atlanta geriet. Zuletzt wurde er im BMW seines Kumpels Knight angeschossen. 2Pac starb am 13. September 1996 im Alter von 25 Jahren. Bis heute wurde niemand für den Mord verurteilt. „Gridlock'd“ dürfte, wenn die Filme „Gang Related“ und „Bullet“ nicht in deutsche Kinos kommen, die letzte Chance sein, 2Pac auf der Leinwand zu sehen.

„Gridlock'd“. Regie: Vondie Curtis Hall