„Wir haben kein Monopol mehr“

■ Gabriele Freytag erforscht das, was sie seit langen Jahren selbst betreibt: feministische Therapie. Der „Ödipus-Komplex“ ist out, der „lesbische Komplex“ in

Von den 20 Jahren Frauentherapiebewegung hat Gabriele Freytag 19 aktiv miterlebt. Vor allem als Mitbegründerin und langjährige Mitarbeiterin des Hamburger Frauentherapiezentrums. Heute hat sie eine eigene Praxis auf dem Land und forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin über feministische Therapie.

taz: Welche Phasen hat die feministische Therapie durchgemacht?

Gabriele Freytag: Zuerst kam die politische Phase. Wir wollten alles anders machen und die Frauen nicht mittels Therapie an das System anpassen. Es fanden hauptsächlich Gruppentherapien und Selbsthilfegruppen statt. Von unserer Qualifikation her fanden wir, daß es reicht, als Frau in dieser Gesellschaft zu leben und diese Situation für sich in Eigentherapie und in Selbsterfahrung gründlich aufgearbeitet zu haben. Wir befürchteten, in den gängigen psychotherapeutischen Fortbildungen verbildet zu werden. Inzwischen kann man in keinem Frauenprojekt mehr anfangen ohne eine abgeschlossene Postgraduierten- Ausbildung in Gestalttherapie, Bioenergetik usw. Es folgte also eine Professionalisierungsphase. Die jetzige Phase würde ich pluralistisch nennen.

Inwieweit hat der Feminismus Psychotherapie und Psychoanalyse verändert?

Eine schwierige Frage. Was feministische Therapeutinnen neben dem Thema des sexuellen Mißbrauchs aufgebracht haben, ist eine andere Herangehensweise beim Thema Eßstörungen. Da war Susie Orbach mit dem „Anti-Diät- Buch“ revolutionär. Sie ist übrigens die Therapeutin von Lady Di.

Anfangs gab es das Konzept der Parteilichkeit mit Frauen. Hat sich das überlebt? Um ein krasses Beispiel zu nehmen: Auch Frauen mißbrauchen Kinder.

Ja. Das haben wir schon vor Jahren gesehen. Aber es ist eine Fehlinformation, wir hätten in den Anfängen vor lauter Parteilichkeit Frauen nur als Opfer betrachtet. So ein Denken schließt sich für mich völlig aus. Denn als Psychotherapeutin habe ich ja automatisch mit den Mechanismen zu tun, mit denen Frauen das Patriarchat stützen, mit ihrer Mittäterschaft.

Wodurch unterscheiden sich heutzutage feministische von anderen Therapeutinnen?

Im konkreten Fall ist es meistens schwierig zu bestimmen. Wir haben ja kein Monopol auf frauenbewußtes Herangehen mehr. Oft ist es eine bestimmte Art des Überlegens. Ein Fallbeispiel aus meiner Praxis: Bei einer Klientin zeichnet sich ab, daß ihre Kasse die Kosten nicht länger übernimmt. Von ihrer Sozialhilfe kann sie die Therapie nicht finanzieren. In den Ausbildungen lernt man, in solchen Fällen die Richtung einzuschlagen: So eine Klientin ist nicht genug motiviert oder kann nicht genug für sich sorgen. Ich habe statt dessen mit ihr durchgespielt, sie würde für die Therapie Geld verdienen gehen. Dadurch kamen wir auf ein für diese Klientin wichtiges neues Gebiet, daß nämlich Erwerbsarbeit momentan das größte Problem für sie ist.

Solch ein unschematisches Vorgehen erwarte ich von jeder guten Therapeutin.

Ich auch. Und man findet es auch hin und wieder. Aber wir feministischen Therapeutinnen haben ein bestimmtes Training hinter uns, die Dinge komplexer zu sehen. Wir haben Arbeitszusammenhänge, in denen wir uns dazu ermuntern.

Glaubt eine feministische Therapeutin daran, daß alle kleinen Jungen die Mutter heiraten und den Vater ermorden wollen?

Es sind wenige, die die Triebtheorie von Freud zur Grundlage nehmen. Auf Interesse stößt dagegen die Analytikerin Eva Poluda- Korte. Sie hat den „lesbischen Komplex“ beschrieben. Das bezieht sich nicht speziell auf lesbische Frauen, sondern darauf, daß das Begehren des Mädchens ein Tabu ist, sofern es sich auf die Mutter, auf die Frau richtet. Fast alle Frauen haben Enttäuschungsgeschichten mit anderen Frauen, haben das Gefühl erlebt, sich zurücknehmen zu müssen. Es ist wichtig für Mädchen und Frauen, dieses Begehren ausleben zu dürfen. Interview: Barbara Debus