Popgun-Bullets over Bremen

■ Dem Rock'n'Roll noch eine letzte Chance geben: Das Trio Popgun aus Bremen über Märkte und Mucke

Manchmal kommt das Gefühl auf, daß man in Bremen ohne Gitarre nur ein halber Mensch ist. Kaum ein Kneipengespräch, wo nicht jemand sagt: „Wir spielen bald in Münster in einer kleinen Galerie auf einer alten Schuppentür“oder: „Wenn wir's in Japan geschafft haben, zahl' ich meinen Deckel.“Popgun zählen zur Reihe neuer Bremer Bands, die von den Erfolgen der Lowlander angespornt wurden, dem Rock'n'Roll noch eine letzte Chance zu geben, und ihre Songs klingen, als wären sie auf der „Lick“-LP der Lemonheads vergessen worden. Melodien essen Leiden auf, nenn' es Post-Punk, Noisepop oder „fast schon Hardcore“im Geiste später Hüsker Dü oder Buffalo Tom aus den seligen Jugendtagen der unsichtbaren Generation.

Popgun haben sich gerade ein zehn Zoll großes Stück Vinyl namens „Chummy“finanziert und darauf acht ihrer Noisepop-Hymnen eingebrannt. Die Platte läßt die Sonne scheinen, als hätten sich Leatherface am Strand von Ostfriesland wieder vertragen.

Lutz und Gunthers Heimatstadt Aurich beherbergte bis vor ca. zwei Jahren eine quicklebendige Szene mit Bands wie Strangemen, Eternal Rest, Mildred Pierce und vielen ungewaschenen Hardcore-Punkern mit kurzen Hosen, in denen Drummer Lutz sein Unwesen trieb. Als die Industrie anfing, den Schunkelpogo zu recyceln und Punkrock zum zweiten Mal gekauft wurde, packten Lutz und Gunther die Instrumente und gingen nach Bremen, um es als Stadtmusikanten zu versuchen.

Gunther hatte mit den Bolzmetallern Assorted Heap und der Frischcore-Band Lauch bereits eine bewegte Jugend hinter sich. Es verschlug die beiden in die Gefilde der Capri-Bar und in einen von Bremens kleinen Proberaum-Bunkern, wo Torsten Gruff und andere sich am Baß versuchten. Aber irgendwann erinnerte sich Gunther an seinen alten Mitbewohner Christoph aus Bielefeld, den dritten Neu-Bremer im Bunde, der eigentlich auch Gitarre spielen wollte. Aber für einen zweiten Gitarristen reichten weder Zeit noch Geld, solange niemand Baß spielte, und so hatte Christoph schnell ein neues Instrument zu lernen.

„Das ging eigentlich gut, weil ich Baß genau wie Gitarre mit dem Plektrum spiele“, sagt Christoph und hat seinen Entschluß nicht bereut. Man besetzte den Proberaum der Hardcore-Veteranen A.S.E., die nur in den Semesterferien zu proben schienen, und flugs waren über zwanzig Songs geschrieben.

Das Proberaum-Tape zog den ersten Auftritt auf der Showcase-Bühne im Modernes nach sich. „Die Bühne ist riesig, aber man hat nicht viel zu verlieren. Trotzdem kommen dir die 200 Leute im Saal vor, als wären es nur zwanzig und ein paar von deinen Freunden“, sagt Lutz. „Wir haben danach auf einem Benefiz in Burgdorf vor sehr wenigen Leuten gespielt, die sich mit Öko-Bier betrunken haben, und unseren besten Auftritt gehabt. Da war nur die Ortsgruppe von den Grünen, und die sind total abgegangen.“

Nicht ganz so jugendlich abgegangen war das Volk vom Viertelfest, wo sich Popgun völlig überraschend für die Bühne vor dem Engel qualifizieren konnten. „Wir hatten gedacht, daß das eine Alternativ-Party zum Stadtfest ist. Es ist komisch, wenn du dann am späten Nachmittag auf so einer mickrigen Bühne stehst, und alle rennen schon besoffen an dir vorbei und gaffen“, erinnert sich Christoph an dieses kulinarische Top-Ereignis hiesiger „Event-Kultur“. „Wir haben halt Geld bekommen. Wir werden auch nicht sagen, daß wir das Geld von einem Mayor-Label nicht nehmen würden, um uns ein Studio davon einzurichten.“

Auf der Kölner Software-Messe Popkomm wird nächste Woche wieder die Überfremdung der deutschen Kultur durch undeutsche Musikproduktionen diskutiert. Bands wie Popgun soll dann mangels deutscher Texte die Öffentlichkeit beschnitten werden. Viva-Pate Dieter Gorny freut sich mit breitem Schnurrbart, daß die „kultige“Generation „kein Problem mit dem Begriff nationale Kultur hat“.

Doch internationale Popkultur ist auch für das Noisepop-Trio Popgun eine ernste Sache und keine krachlederne Kirmes für einige Marktschreier, denen die Rohstoffe für Schlager-Remixes ausgehen. Popgun haben ihrer ersten Platte keine Texte beigelegt und singen trotzdem in Englisch.

Christoph nimmt noch einen Schluck vom warmen Bier und paßt perfekt zum Image einer Zielgruppe, die sich von Spaghetti und Bier ernähren muß. „Was ich zu sagen habe, ist nicht so wichtig, daß ich es aufschreiben muß“, zitiert er den großen J. Mascis.

Stefan Ernsting

„Chummy“ist für zwölf Mark bei Überschall und Ear erhältlich; Popgun spielen am 8. September mit den L.A.-Ska-Swingern von Bottom 12 in der Buchtstraße