Vulkan: Letzter Kampf ums Archiv

■ 150 Meter offizielle Firmen-Akten gehen ans Bremer Staatsarchiv / Betriebsräte und Forscher wollen Gesundheitsdaten der Vulkanesen sichern, um später Berufskrankheiten nachzuweisen können

Das Bremer Staatsarchiv wird den offiziellen Nachlaß der Vulkan-Werft übernehmen. Noch ehe in der kommenden Woche das letzte Containerschiff abgeliefert wird, transportieren Archivare die Firmen-Akten ab: 150 Meter Akten, 1.500 Konstruktionspläne und 30.000 Fotos.

Unklar ist jedoch, was mit den Gesundheitsdaten der Vulkanesen passieren soll. Betriebsräte und Arbeitswissenschaftler der Universität wollen diese Akten sichern und zusammenhalten, damit Vulkanesen später nachweisen können, daß Werftarbeit sie krank gemacht hat.

Betriebsrat Rolf Spallek würde am liebsten einen Verein gründen, der mit einer Reihe von ABM-Stellen die Akten verwaltet. Ihm geht es darum, auch in mehreren Jahren noch Ansprüche von Vulkanesen gegenüber der Berufsgenossenschaft untermauern zu können. Denn im Falle des Vulkan gibt es keinen Rechtsnachfolger, der die Akten gesammelt übernimmt.

Die Frage, ob ein Leiden eine Berufskrankheit darstellt oder nicht, wird von Betroffenen und Berufsgenossenschaften häufig unterschiedlich bewertet. „Es gibt zum Beispiel bei den Berufsgenossenschaften Studien, die angeblich belegen, daß Schiffbau keine bandscheibenschädigende Tätigkeit ist“, sagt Spallek. Aus den Gesundheitsdaten lasse sich aber belegen, daß Werftarbeiter X sehr wohl schwere Metallrohre habe tragen müssen. Oder daß einer beim Einatmen giftiger Lösungsmittel seine Lunge geschädigt hat. Oder daß der Lärm in den Werfthallen das Gehör kaputtgemacht hat.

Um solche Schäden aber für einzelne Arbeiter nachzuweisen, müssen die persönlichen Daten aus arbeitsmedizinischen Untersuchungen der Betriebsärzte zusammenbleiben mit Analysen der einzelnen Arbeitsbereiche. Die Werft hat nämlich sehr genau registriert, wer Lärmquellen ausgesetzt war oder mit giftigen Schadstoffen hantierte. Außerdem ist bekannt, welches Material welche Arbeitskräfte bewegen mußten.

Was für Spallek als langfristige Hilfe für ehemalige Kollegen gedacht ist, erweckt bei Dietrich Milles von der Universität Bremen auch wissenschaftliches Interesse. Die Forscher wollen die Unterlagen zusammenhalten, um „Risikobiographien rekonstruieren“zu können. Außerdem ließe sich so später erforschen, wie Vulkanesen die persönliche Krise des Arbeitsplatzverlustes verkraftet hätten.

Viele der persönlichen Akten seien bereits den Mitarbeitern ausgehändigt worden, sagt Betriebsrat Spallek. Jeder einzelne müßte sein Einverständnis erklären, daß seine Daten zu Forschungszwecken genutzt würden. „Unter Beachtung des Datenschutzes“. Das Bremer Arbeitsressort hält es laut Sprecher Jörg Henschen für „vorstellbar“, einen Archiv-Verein zu fördern.

Die nicht-personenbezogenen Daten werden im Staatsarchiv lagern, das die Rettungsaktion aus eigenen Mitteln finanziert hat. In der kommenden Woche wird das Archiv geschlossen. Die Mitarbeiter packen die Vulkan-Akten aus und ordnen sie, so der stellvertretende Leiter Adolf Hofmeister. Die Daten würden bei Bedarf auch Betroffenen zugänglich gemacht.

Betriebsrat Spallek fürchtet aber, daß die persönlichen Gesundheitsdaten dann nur noch sehr schwer den allgemeinen Akten über die Arbeitsbelastung zugeordnet werden können. Viele Kollegen handeln noch kurz vor Toresschluß: 120 Berufskrankheitsfälle hat Spallek in den letzten Wochen bearbeitet. Joachim Fahrun