: Verlorene junge Männer
Die zweite Generation: Ausstellungen des druckgraphischen Werks von Max Kaus (1891–1977) im Käthe-Kollwitz- und im Brücke Museum ■ Von Ulrich Clewing
Als Stephanie Barron, Kuratorin am Los Angeles Museum of Modern Art, vor rund zehn Jahren die große Retrospektive „Expressionismus. Die zweite Generation 1915–1925“ zusammenstellte, war der Maler Max Kaus nicht mit einer einzigen Arbeit vertreten. Eine Entscheidung, die im nachhinein unverständlich erscheint: Verkörpert doch gerade Kaus jene zweite Generation expressionistischer Künstler wie kaum ein anderer, das ganze Dilemma des Nachgeborenen eingeschlossen.
Andererseits kann man nicht behaupten, daß Max Kaus heute ein Unbekannter sei. 1991 fand in der inzwischen geschlossenen Staatlichen Kunsthalle an der Budapester Straße eine umfangreiche Ausstellung mit Gemälden und Zeichnungen von Max Kaus statt, und auch das Brücke Museum in Dahlem, das eine üppige Sammlung von Arbeiten des Künstlers besitzt, hat sich in der Vergangenheit immer wieder darum bemüht, den gebürtigen Berliner nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Nun zeigt man dort mit 85 Blättern aus bald fünf Jahrzehnten einen Überblick über Kaus' graphisches Werk. Gleichzeitig präsentiert das Käthe-Kollwitz-Museum in der Charlottenburger Fasanenstraße den Kaus' erster Frau Gertrud gewidmeten „Turu“-Zyklus, der ebenfalls aus den Beständen des Brücke Museums stammt.
Max Kaus wird am 11.3.1891 in Berlin-Moabit geboren. Sein Vater, ein Kirchen- und Paramentenmaler, stirbt, als Max drei Jahre alt ist. Mit vierzehn beginnt er eine Lehre beim Malermeister Leopold Rupke in Spandau, anschließend besucht Kaus die Charlottenburger Kunstgewerbeschule. 1913 bezieht er ein eigenes Atelier in der Orangenstraße (heute Guerickestraße) und übernimmt erste Aufträge als Dekorationsmaler. Im Jahr darauf reist Kaus zusammen mit seinem Studienfreund Mieczeslav Woitkiewicz nach Paris, wo er vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht wird und Hals über Kopf zurückkehrt.
Die für ihn künstlerisch wichtigste Begegnung findet unter makabren Umständen statt: Nach einer einmonatigen Kurzausbildung als „freiwilliger Krankenpfleger“ wird er beim Abmarsch nach Flandern auf Erich Heckel aufmerksam, den rund zehn Jahre älteren Maler und Mitbegründer der Künstlergruppe „Die Brücke“. Kaus und Heckel treffen sich später in Ostende wieder, wo die beiden in ihrer Freizeit gemeinsam malen. Von Heckel angeregt, entdeckt Max Kaus die Technik des Holzschnitts und entwickelt einen expressionistischen Stil, der dem seines Vorbilds kaum nachsteht. Besonders deutlich wird dies in seinen Porträts: Die hageren, irgendwie seltsam verloren wirkenden jungen Männer, die er nach dem Krieg zeichnet und malt, sind dieselben, wie sie ein Jahrzehnt zuvor Heckel und vor allem Kirchner zu Papier und auf Leinwand gebracht haben. Doch darin liegt auch das Problem: In dem Moment, in dem Kaus sich zur Meisterschaft aufschwingt, ist die Zeit des Expressionismus eigentlich schon vorbei.
Kaus macht, was alle (ehemaligen) Expressionisten machen, er experimentiert mit verschiedenen Arbeitstechniken, nähert sich wieder mehr einer eher traditionellen Figürlichkeit an. Erfolge stellen sich ein, Kaus wird nun vom renommierten Galeristen Ferdinand Möller vertreten, ab 1926 unterrichtet er an seiner früheren Kunstschule in Charlottenburg. Den von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemten Kaus der dreißiger und vierziger Jahre präsentiert die Ausstellung im Brücke Museum gezwungenermaßen als weißen Fleck: 1943 wird sein Atelier zerstört, rund 200 Gemälde und zahllose Graphiken verbrennen. 1949 erhält Kaus den Ruf als ordentlicher Professor für freie Malerei an die Hochschule für bildende Künste, er wird Mitglied der Akademie der Künste, seine Akkus jedoch erscheinen inzwischen leer. Ein Blatt wie „Figurinen“ von 1955, eines der letzten, die im Brücke Museum zu sehen sind, demonstriert Kaus' Auseinandersetzung mit der damals vorherrschenden gefälligen Abstraktion, doch mehr als ein Aufgreifen der neuesten Moden ist nicht zu erkennen.
Ein anderes Kaliber ist die Ausstellung des Turu-Zyklus im Käthe-Kollwitz-Museum. Dessen Qualität liegt weniger im Künstlerischen als im Menschlichen, es ist ein anrührendes, Monate währendes Abschiednehmen von seiner im Januar 1944 an Krebs gestorbenen Frau Gertrud Kant, Turu genannt. Rund vier dutzendmal Turu, im Bett, mühsam aufrecht sitzend, schlafend, „in Schmerz aufgelöst“ – dieser Zyklus entzieht sich aller Kritik. Ein Dokument, das fast mit Händen greifbar werden läßt, wie eng Liebe und Verlust miteinander verbunden sind.
Brücke Museum, Mi.–Mo. 11–17 Uhr, bis 14.9., Käthe-Kollwitz- Museum, Mi.–Mo. 11–18 Uhr, bis 20.10
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