Tierliebe Richter: Laßt die Rinder leben

■ Verwaltungsgericht verbietet das Töten von 250 BSE-verdächtigen Importrindern in Schleswig-Holstein. Der Schlachtplan von Bundeslandwirtschaftsminister Borchert sei „unverhältnismäßig“ und BSE nicht ansteckend

Sontheim (taz) – Zum erstenmal hat ein deutsches Gericht die Tötungsanordnung für Importrinder aus der Schweiz und Großbritannien aufgehoben. Das Verwaltungsgericht in Schleswig verbot dem Land Schleswig-Holstein, weitere Rindertötungen anzuordnen. Landwirtschaftsminister Hans Wiesen (SPD) deutete gestern an, dem Urteil zu folgen und keine Revision einzulegen. Zunächst müsse aber die Begründung genau studiert werden. Damit würde das erste Bundesland aus der Schlachtreihe von Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert ausbrechen.

Für viele Züchter kommt das Urteil zu spät: Schon 4.700 der registrierten 6.180 verdächtigen Rinder wurden bereits gekeult. In Schleswig-Holstein sei dagegen „noch kein Tier gegen den Willen des Eigentümers getötet worden“, erklärte Wiesen. In Schleswig-Holstein sind 188 Rinder schon beseitigt, 250 britische Importrinder stehen noch auf den Weiden.

Die Richter entschieden, daß die Tötungsanordnung durch das Tierseuchengesetz nicht gedeckt sei. Dafür müsse eine besondere Gefahr für die Tierbestände bestehen – die liege aber nicht vor. Eine Übertragung von BSE erfolge in der Regel nur durch verseuchtes Tiermehl. Zwar halten die Experten in äußerst seltenen Fällen die Übertragung der Krankheit vom Muttertier auf das Kalb für möglich, dies könne aber keine besondere Seuchengefahr begründen.

Auch in anderen Bundesländern liegen Klagen gegen die Landwirtschaftsministerien vor, die Borcherts Tötungsverordnung durchsetzen wollen. Bislang gab es Entscheidungen nur in Eilverfahren; die Schleswiger Richter legten sich als erste in einem Hauptsacheverfahren fest. Das Kieler Ministerium sprach gegenüber der taz von einer „Signalwirkung“ dieses Urteils für alle anderen Bundesländer. Damit könnte also bald Borcherts Tötungsverordnung endgültig scheitern.

Außerdem kamen die Richter in Schleswig auch noch zu dem Schluß, daß die Tötungsanordnung aus dem Hause Borchert den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletze. Angesichts einer solchen Entscheidung war natürlich die Freude beim „Aktionsbündnis gegen die Borchert-Tötungsverordnung“ groß. In die Freude mische sich freilich ein „unendliches Gefühl der Traurigkeit“, sagt Mechthild Oertel vom Bündnis. „Und zwar Traurigkeit darüber, daß völlig unnötig getötet wurde.“ Für einige Züchter habe das bereits den wirtschaftlichen Ruin zur Folge gehabt. Sie appelliert an alle Bundesländer, das Schleswiger Urteil anzuerkennen und „uns nicht länger mit wirtschaftlichem Druck fertigzumachen“. Eindeutig sei durch die Sachverständigenanhörung deutlich geworden, daß es zu keinem Zeitpunkt eine Rechtfertigung für die Massentötung gegeben habe.

Dem stimmt auch der Bauer und Züchter Andreas Blank aus Sontheim im Allgäu zu. Was in Schleswig gelte, müsse endlich auf die anderen Bundesländer übertragen werden, fordert der Mitorganisator des Allgäuer Widerstands. Klaus Wittmann