Elegante Wege aus dem Kombüsenallerlei

■ Delikates gegen Fades: die Ausstellung“Wohnen in der Stadt“in der Sortierhalle der alten Post am Gänsemarkt

Warum lebt es sich in hundert Jahre alten Wohnungen soviel angenehmer als in einem SAGA-Neubau? Warum sieht man bei der Fahrt durch die Stadt kaum ein neues Wohnhaus, bei dem einem der Begriff „Architektur“einfallen würde? Was verlockt nach wie vor jährlich tausende Menschen dazu, im gesichtslosen Speckgürtel der Stadt eine Prospektindividualität im Einfamilienhaus zu verwirklichen? Die Stadt, so macht es den Eindruck, zehrt noch von ihrem Erbe, verludert aber in ihrer aktuellen Geschichte. Die Wohnfrage, über viele Generationen ein heftig umstrittenes ideologisches, soziales, ästhetisches und städtebauliches Problem, in dem auch Hamburg gerade zwischen den Kriegen Bedeutendes geleistet hat, wird hier längst nur noch mit dem sozialdemokratischen Maßband betrieben. Masse ist alles, architektonische Qualität und sich wandelnde Bedürfnisse gehören in dieser Sicht auf den freien Markt.

Das Resultat dieser jahrelangen politischen Bequemlichkeit ist ein Qualitätsniveau im Wohnungsneubau, das in seiner Ärmlichkeit jeden Stadtvergleich verliert und durch die wenigen Gegenbeispiele meist frei finanzierter Kulturleistungen eher karikiert als ausgeglichen wird. Die Ausstellung Wohnen in der Stadt, die der Bund Deutscher Architekten (BDA) im Rahmen des Architektursommers ausrichtet, zeigt einige von diesen Versuchen, den Wohnungsbau dem Geist der Fünfziger zu entreißen.

48 Büros durften ihr Lieblingsprojekt hier mit Bildtafeln und Modellen vorstellen, und es fällt auf, daß zumindest in Teilen der Architektenlandschaft ein Bemühen zu spüren ist, dem menschlichen Bedürfnis nach Außergewöhnlichkeit nachzukommen. Neben viel baulichem Kantinenfraß aus den Kombüsen alteingesessener Bauköche finden sich gerade von jüngeren Büros einige Projekte, die der deutschen Geschmacksarmut flottere Rezepte anempfehlen.

André Poitiers Geschoßwohnungsbau in Halstenbek, Alsop & Störmers buntes Domizil an der Herbert-Weichmann-Straße oder Dinse, Feest, Zurls Überbauung am Eppendorfer Markt seien hier genannt. Auch auswärtige Baumeister zeigen mit eleganten Entwürfen kraß, wie man den architektonischen Watschelgang zwischen angeklebten Backsteinimitaten, protzigen Betonbalkons und dickleibigen Plastikfensterrahmen, wie er in Hamburg üblich ist, vermeiden kann. Leon/Wohlhages Wohnanlage am Nagelsweg oder Norman Fosters gerade im Entstehen begriffener Komplex an der Rothenbaumchaussee drängen einem den Wunsch nach einer neuen Wohnungsbaupolitik geradezu auf, bei der derartige Bauten nicht schon mit der Übergabe zu Stadtantiquitäten werden müssen.

Ausstellungen wie diese, die von dem eindeutigen Bemühen getragen sind, das Bewußtsein für einen ästhetisch ansprechenden Wohnungsbau langsam, aber stetig zu erhöhen, haben in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion. Zumal mit einer begleitenden Diskussionsreihe, die am kommenden Donnerstag mit einer Veranstaltung zur neuen Rothenbaum-Bebauung eröffnet wird, und einem faktenreichen Katalog – in dem leider das bizarrste Beispiel der Ausstellung, das schneckenförmige Haus vom Architekten der Köhlbrandbrücke, Egon Jux, nicht abgebildet ist – die am Stadtbau beteiligten Gruppen in die Diskussion gezwungen werden.

Kees Warburg

Ausstellung: Alte Post, Sortierhalle, Dammtorwall 12; Katalog: Dölling und Galitz, 48 Mark.