Ungehorsam hinter Gittern

Für ein gewaltfreies Konzert im Zwischenlager Gorleben mußte eine Atomgegnerin für zehn Tage in den Knast  ■ Von Marco Carini

Am heutigen Samstag wollen sie feiern. Wenn sich um 9 Uhr die Gefängnistore für Katja Tempel nach zehn Tagen wieder öffnen, werden rund 50 Freunde und Kampfgefährten sie in Empfang nehmen. Danach geht es zum verspäteten Sektfrühstück an die Stätte, an der sich die Castor-Gegnerin ihre zehntägige Knast-Visite „eingebrockt“hat – zum Atommüll-Zwischenlager in Gorleben.

Als sich am letzten Juli-Donnerstag die Zellentür der Frauenvollzugsanstalt in Vechta hinter Katja Tempel schloß, ging zum ersten Mal in der Geschichte des Gorleben-Widerstandes eine Atomgegnerin für eine gewaltfreie Widerstandsaktion in den Knast. Bereits 1995 war die heute 34jährige Mutter zweier Töchter vom Amtsgericht Dannenberg zu einer Geldstrafe von 200 Mark verurteilt worden.

Der Grund dafür: Im Jahr zuvor war sie zusammen mit 30 MusikerInnen der Initiative „Lebenslaute“über die Mauern des Zwischenlagers gestiegen, um dort unter dem Motto „Musikalischer Einstieg in den atomaren Ausstieg“ein halb-stündiges Klassikkonzert abzuhalten. Vier der Beteiligten – darunter Tempel – wurden später anhand von Filmaufnahmen durch die Polizei identifiziert und wegen Hausfriedensbruch zu Geldstrafen verurteilt. Katja Tempel zahlte als einzige nicht – und mußte dafür hinter Gitter.

Warum sie die vergleichsweise geringe Strafzahlung verweigert hat? „Das käme für mich einem Schuldeingeständnis gleich“, sagt die Diplom-Pädagogin. Das Konzert habe „in der Tradition des zivilen Ungehorsams“gestanden. Deshalb meint sie: „Ich habe nichts Unrechtes getan.“

Doch es gibt noch einen weiteren Grund für die Zahlungsverweigerung. Durch ihren Haftantritt, tut Tempel kund, habe sie „die Handlungsspielräume gewaltfreier Aktionen erweitern“wollen. Denn „was soll der Staat noch mit uns machen, wenn die Gefängnisse nicht mehr abschreckend wirken“. Zudem habe sie mit ihrem Knast-aufenthalt das Thema ziviler Ungehorsam gegen Gorleben erneut in die Öffentlichkeit bringen wollen.

Das ist ihr zweifellos gelungen. Täglich veranstalten MitstreiterInnen der Inhaftierten auf den Marktplätzen von Hitzacker und Lüchow ein „Absitzen“genanntes Sit-In, um so ihre Solidarität mit der Atom-Gegnerin zu bekunden. Tempels Briefkasten quillt über vor Solidaritätspost, Landrat Christian Zühlke, der Lüchower Pastor Rolf Adler und andere haben sich bei einer öffentlichen „Verabschiedung“hinter die Knastgängerin gestellt.

Dieser Schritt sei ein Denkanstoß für diejenigen, so Adler, „die die Phantasielosigkeit unseres Rechtssystems gegenüber ziviler Courage akzeptieren“.