Wo die Toten baden gehen

■ Seebestattung: Auch nach dem Tode ruft das Meer / Zwischen Juist und Norderney versenkt die „Pax Mare“Urnen / Auf Wunsch mit Posaunen und Ehrenrunde

Sommer, Sonne, Strand und Meer – Urlaub? Nein, Beerdigung. Genauer: Seebestattung. Gut zehn Prozent der BremerInnen möchten auch nach ihrem Tod das kühle Naß nicht missen und lassen ihre Urne im Meer verklappen. Der kürzeste Weg von Bremen zur letzten Schwimmstätte geht über das ostfriesische Nordeich Mole. Genau bei 53 Grad 45– Nord und 07 Grad 0,3– Ost dümpelt im Seegatt zwischen Norderney und Juist eine Tonne, die außerhalb der Dreimeilenzone die Stelle markiert, die das Hamburger Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie für Seebestattungen freigegeben hat. Kapitän Johann Behrens vom Bestattungsschiff „Pax Mare“braucht drei Stunden für die Tour, inklusive Ehrenrunde um die Stelle, an der die Urne über Bord geht.

„Ik bün da“, nuschelt der Faltenmund von Matrose Müller im Wind auf dem Deich des Norddeicher Fischereihafens. Mit krummem, knochigem Finger deutet er auf die kabbelige See. Der alte Seebär will sein Element nicht missen. Er und seine Frau haben festgelegt, nach ihrem Tod hier auf See bestattet zu werden. Müller schwankt vom Deich. Zuerst schwingt der Matrose einen Kasten Bier über die Reeling der „Pax Mare“. Dann schiebt er einen unscheinbaren Karton mit den Urnen nach. Kapitän Behrens verstaut den Karton unter Deck. „Eigentlich sollte heute ein Arzt aus Bochum raus, aber es ist zu stürmisch“, zu gesprächig ist der Ostfriese Behrens nicht. „Jau“, antwortet Müller, „die Fahrt wär' für die Angehörigen nicht angenehm gewesen.“Sprach' s, klippt das erste Bier auf und wirft den Diesel an. Tuckernd schiebt sich der ehemalige Zollkreuzer an Baggerschiffen und Fischkuttern vorbei aus dem Hafen. Frühnebel leckt über die Wellen, es ist stürmisch. „Richtig gut für eine Beerdigung“, schmunzelt Müller.

Heute läuft die „Pax Mare“ohne Angehörige zu einer Gruppenbestattung von fünf Urnen aus. Eine Urne kommt aus Baden-Württemberg, eine aus Bremen, drei aus dem Ruhrgebiet. Aus Blechbehältern wurden die Aschen in fünf Röhren aus Zucker und Muschelkalk gefüllt. Die Zuckerhülle löst sich nach zwei Stunden auf, dann verquirlt das Wasser die sterblichen Überreste im Meer. Wer will auf See bestattet werden? „Ja“, sinniert der Kapitän, „Leute, die das Meer mögen. Aus dem Ruhrgebiet kommen viele. Von der Marine kommen auch viele.“Überraschenderweise wenig Seeleute und fast keine Ostfriesen. „Wir sind bodenständig“, Kapitän Behrens will ein „ordentliches Grab“. Dann kommen die, die keine Angehörigen haben und einfach verschwinden wollen, für immer. Andere möchten ihren Kindern die Grabpflege nicht aufbürden. Bei manchen weiß man nicht so genau. „Vor einiger Zeit hat sich ein japanischer Botschafter hier bestatten lassen“, murmelt der Kapitän. Früher ist er selbst um die halbe Welt gefahren, bis die Familie ihn an Land haben wollte. Die Seebestattungen sind eine Art Kompromiß. „Meine Kollegen verstehen mich. Einige sind sogar neidisch. Hauptsache, auf einem Schiff“, versonnen nuckelt er an seiner Bierflasche. Er hockt am Ruder, peilt in die schaumige See. Das Schiff rutscht durch die Wellen. Cornelius Müller schaut unter Deck nach den Urnen. „Nachher zerbrechen die Zuckenschalen bei dem Geschlingere.“

Nach anderhalbstündiger unruhiger Fahrt erreicht die Pax Mare die Tonne an der Bestattungsstelle. Behrens zieht sich seine Kapitänsuniform an. Eine Urne stellt er in eine Senkbüchse. Ein Kranarm klappt die Büchse unter die Wasseroberfläche. Dort öffnet sich der Stahlbehälter, und die Urne senkt sich ins Meer. Der Kapitän hält inne, salutiert und läßt einen Blumenstrauß ins Wasser gleiten. Hinter der Brücke wirft sein Matrose die restlichen vier Urnen ins Wasser. Acht Glasen schlägt der Kapitän an der Schiffsglocke: „Wacht wechselt.“Nach einer Ehrenrunde um den zerrissenen Blumenstrauß geht's auf Heimatkurs.

Die Arbeit ist getan, das Bier schmeckt. „Neulich haben die Angehörigen der Urne eine Flasche Schnaps nachgeworfen“, grient Cornelius Müller. Je nach Wunsch kann an Bord eine Trauerfeier stattfinden. Posaunenchöre sind fast üblich für gläubige Protestanten. „Eine Familie konnte sich nicht einigen ob See- oder Landbestattung. Die haben der Urne einen Grabstein hintergeworfen“, erzählt der Kapitän. Ein anderes Mal trauerte die Gesellschaft nur auf der Hinfahrt. Danach ging eine Party ab, mit Musikband und Bier vom Faß, der Verstorbene wollte es so.

Seebestattungen waren bis vor zehn Jahren eine kostengünstige Alternative zur Urnenbestattung an Land. Dann reagierten die Friedhofsverwaltungen und haben billig pflegefreie, anonyme Grabfelder angeboten. „Seitdem lassen sich nur noch MeeresliebhaberInnen auf See bestatten“, meint Klaus Meyer-Heder vom Bremer Bestattungshaus „Niedersachsen“. Nur, eine Seebestattung ist etwas ganz Endgültiges. „Angehörige, die ihre Verstorbenen auf See besatten lassen, können sich in ihrer Trauerarbeit oft nicht lösen und richten sich einen Hausaltar als Ersatzgrab ein.“ Thomas Schumacher