■ Vorschlag
: Bonbonfarben zurück in die Zukunft: Tatis "Mon Oncle" im Checkpoint

Sehr groß, sehr schweigsam und linkisch bis an den Rand versehentlicher Selbsttötung: Das ist Monsieur Hulot. Dürr wie ein Strohhalm hüpft er anmutig über den Strand. Sein Faltboot schnappt wie ein Haifisch-Rachen auf und zu bei dem Versuch tapferer Meeresfahrt. Geruht er zu speisen, so befinden sich Pfeffer und Salz schon aus Prinzip nie an seiner Seite der Tafel. Monsieur Hulot und der Alltag – das macht einen Artisten, der seine Abstürze nicht zur Kenntnis nimmt. Wer kann schon für die Tücke des Objekts?

An Jacques Tati erweist sich, was ein wirklicher Kenner des Kinos ist. „Die Ferien des Monsieur Hulot“ (1954) und „Das Schützenfest“ machten ihn unsterblich im Sinne von populär, doch „Traffic“ (1971) und „Mon Oncle“ (1958) machten ihn vor der Kritik zur Ikone neuzeitlicher Entfremdung. Monsieur Hulot und der Postbote sind quasi die Verlängerung der Linie Chaplin/Buster Keaton. Hulot weilt zu Besuch bei seinem Schwager oder vielmehr: Er ist dessen Haushalt hilflos ausgeliefert. Männer, so macht sich „Mon Oncle“ lustig, waren und sind nicht dafür geschaffen, allein zu leben, schon gar nicht Ende der fünfziger Jahre, auch wenn sie kleinen technikversessenen Neffen diese und jene wertvolle Lebenslektion erteilen. Der Toaster dient gleichzeitig als Waschmaschinen-Staubsaug-Blumengieß-Vorrichtung? Voilà! – moderne Zeiten: Das Individuum wird „Dividuum“. Alle Bemühungen Hulots führen zu Mißverständnissen und, unausweichlich, Katastrophen. Thema: kleine Ursache, große Wirkung auf das Umfeld. Stenotypistinnen hüpfen in zu den Waden hin absurd engen Eieruhr-Kleidern wie kleine Vögelchen durch Fabriken, deren Maschinen in blitzblanken Hallen grelle Plaste-Würste ausspeien. So wie in Tatis „Mon Oncle“ haben wir uns als Kinder die Zukunft vorgestellt: ein cooles, cleanes und technisch hochgerüstetes Kunststoff-Universum in Bonbonfarben. Anke Westphal

Checkpoint, 7.–13. 8., je 20 Uhr, Leiziger Straße 55, Mitte