■ Wenn Träume versöhnlich stimmen
: Bilder des Grauens

Seit mehr als einer Woche habe ich Nacht für Nacht einen wunderschönen Traum. Dabei war der Anlaß des Traums gar nicht so schön. Im Gegenteil. Er war häßlich und heißt „Abendschau“.

Die „Abendschau“ ist das tägliche lokale Nachrichtenmagazin vom Sender Freies Berlin, gefürchtet ob seiner investigativen Beiträge aus dem Zoologischen Garten und seiner Moderatorinnen, die nur deshalb noch alle Tassen im Schrank haben, weil ihr Haarspray so klebrig ist.

Eine dieser Schabracken kündigte vor kurzem einen Bericht über die Räumung eines besetzten Hauses an. In Berlin, sagte sie vergnügt lächelnd, ginge die Ära der Hausbesetzer nun zu Ende. Das sei auch gut so, fügte sie sinngemäß hinzu, wie – hier glitt ihre Stimme in einen Bereich, der blankes Ensetzen mit der Trauer um die Verlorenheit des Menschen mischte – diese Bilder nun zeigen würden.

Damit war die Reporterin dran. Ihr Name war Anja oder Antje Neels oder Nöls. Die Polizei hatte ihr die Zimmer des Hauses nach der Räumung zugänglich gemacht und ließ den SFB-Kameramann überall da bedingungslos schnüffeln, wo die Bewohner gerade noch geschlafen hatten: Ins Bild gerieten ungemachte Betten auf Schaumstoffmatratzen; ein paar ausgetretene Doc Martins, in die nie wieder Käsemauken versenkt werden würden; fern in der Ecke ein großer blauer Müllbeutel; ein Tisch, darauf ein paar zerknickten Bierdosen – und eine leere Babyschaukel: Diese Menschen haben sogar Kinder. Brrrrr.

Gott, dachte ich – und dafür der ganze Aufriß? Sind wir zurück in den fünfziger Jahren, wo jeder, der nicht wie im Quelle-Katalog wohnt, mindestens obdachlos werden muß? Ist ein Leben ohne Schrankwand schon Grund genug, der Öffentlichkeit vorgeführt zu werden?

Dann schlief ich ein. Und der Traum kam.

Ein Spiegel-TV-Spezialkommando stürmt morgens um fünf Uhr die Wohnung von Frau Neels oder Nöls. Bevor sie ihre Kontaktlinsen einsetzen kann, ist auch schon die Innenansicht ihres Mülleimers gefilmt. Ein Haufen dreckiger Unterwäsche wird vom Kameraassistenten quer durch die Bude gestreut und aus der gemeinen Froschperpektive aufgenommen. Es folgen eine Reihe von ungewaschenen Porträtaufnahmen inklusive Achselschweiß im fiesen Licht einer Neonröhre, die extra für diesen Zweck aus einer Bahnhofstoilette abmontiert wurde.

Um 20 Uhr werden die Bilder parallel auf allen Privatsendern ohne Werbeunterbrechung ausgestrahlt. Die Nachbarn amüsieren sich prächtig und zeigen mit den Fingern auf Frau Nehls. Sie bereut und macht endlich etwas Vernünftiges: Schichtdienst auf einer Station für lepröse Junkies. Der Senat tritt zu einer Sondersitzung zusammen und beschließt, den SFB zu verkaufen. Der Laden geht an einen Schrotthändler mit Stasi-Vergangenheit. Dann klingelt der Wecker. Der Traum ist aus.

Schade. Fritz v. Oeltjen