Wenigstens eine amüsiert sich

Warum das Kugelstoß-Unternehmen Kumbernuss/Kollark die Konkurrentin Vita Pawlisch dauernd anklagt, ein dopendes Ungeheuer zu sein  ■ Aus Athen Peter Unfried

Die beiden Frauen standen nebeneinander, Abstand, fein geschätzt, fünf Zentimeter. Links Vita Pawlisch, oben auf dem Treppchen Astrid Kumbernuss. Kein Blick, kein Gruß, kein Lächeln – schon gar kein Händedruck. Kumbernuss hatte eigentlich zwei Vorteile: Sie hatte gewonnen (20,71 m) – und ihr zur Seite stand extra stark herzend, kichernd, strahlend die deutsche Bronzemedaillengewinnerin Storp (19,22). Ihr Plan war klar: Pawlisch (20.66) zu isolieren, stigmatisieren, bis sie sich in Luft auflösen und niemals mehr gesehen würde.

Eigentlich ist Kumbernuss (27) nicht zum Lachen. Im Gegenteil. Vita Pawlisch geht nämlich nicht weg. Kumbernuss hat auch in Athen nicht mit ihrer Meinung innegehalten, die Konkurrentin sei keine rechtmäßige, denn sie nutze unerlaubte Hilfsmittel. Bestärkt wird sie von Dieter Kollark, ihrem Lebensgefährten und Trainer. Die Verbissenheit, mit der das Siegerduo Kollark/Kumbernuss die unterlegene Ukrainerin anklagt, ist erstaunlich. Bei der gestrigen Sieges-Pressekonferenz wurde der Trainer so aufgeregt, daß man den DLV-Präsidenten Helmut Digel losschickte, ihn zum Wohle von Verband und WM zu bremsen.

Die Anklagepunkte sind bekannt: Pawlisch pflegt sich das Jahr über bevorzugt in der Ukraine aufzuhalten, unerreichbar für internationale Kontrollen. Beim Europacup Ende Juni erschien nicht sie, sondern ein leistungsmäßig weit unterlegener Ersatz. „Eine Mutti, so fett, daß sie im Aufzug steckenblieb“, wie Kollark beobachtete.

Warum das? Pawlisch sagt, ihre Knie seien kaputt, sie könne nur noch wenige ausgewählte Wettbewerbe bestreiten, diesjahr unter anderem die Hallen-WM, bei der sie Kumbernuss schlug, und die WM. Trotz ihrer Verletzungsprobleme hat sie sich im letzten Jahr um mehr als einen Meter (auf 20,73 m) verbessert. Pawlisch ist 28, Leistungssprünge finden gemeinhin früher statt. Es gibt aber Ausnahmen wie Jarmila Kratochvilova oder Linford Christie. Experten schätzen, Hormondoping bringe in den Wurfdisziplinen zwischen fünf und zehn Prozent. Das sind „Indizien“, wie Kollark das nennt, die nur einen Schluß zulassen.

Kollark hat wenig Freunde im Verband. In Athen ist er mit einer Akkreditierung zweiter Klasse. Nach der Wende nicht übernommen und wenig geschätzt, hat er in Neubrandenburg verbissen vor sich hingearbeitet, um Astrid Kumbernuss und sich ganz nach oben zu bringen. Seit Pawlischs Hallen-WM-Sieg in Paris ist das Lebenswerk gefährdet. Über Mittelsfrauen wähnt er sich über den ukrainischen „Sumpf“ informiert, den deren Verbandschef Valerie Borsow zu verantworten habe.

Borsow, Sprint-Doppelolympiasieger von München, ist Multifunktionär und hat beste Pöstchen in der IAAF und im IOC. Und damit zu kämpfen, daß man eben dem ukrainischen Kugelstoßer Bagatsch die Goldmedaille wegen Ephedrin-Einnahme wegnehmen mußte. Digel nennt Kollarks Vorpreschen „individuelle Beobachtungen“. Kollark aber weiß zumindest, wovon er spricht. Als Trainer in der DDR, sagt er, hatte er „eine andere Interpretation über die moralische Bedeutung von Doping“. Nun aber sei er „moralisch geläutert“. Außerdem: Er war bloß Jugendtrainer, seine Stasi-Akte eher unerheblich, in Brigitte Berendonks Standardwerk kommen weder er vor noch die DDR-Athletin Kumbernuss. Die hält zwar den Juniorinnen- Weltrekord (20,54 m). Am 1. Januar 1991 aber, sagt Kollark, sei „Stichtag“ gewesen. Damals verpflichteten sich die neuen Sportfreunde verbindend zu einer neuen, sauberen Zeit.

Tatsächlich zieht das Kugel-Unternehmen Kumbernuss/Kollark sein Testprogramm so intensiv durch wie die Anti-Pawlisch-Kampagne. Athen war die 13. Kontrolle, inklusive dreier der IAAF. „Was soll ich mehr machen“, fragt die Athletin, „mehr kann man nicht tun.“ Selbst einer Blutkontrolle, mit der Hormondoping auszuschließen ist, will sie sich unterzogen haben, während Pawlisch „im Untergrund“ (Kollark) weilte.

Klar ist, daß die nationale Marktlücke in Gefahr war. Sie funktionierte, weil die Deutsche gewann. Aber immer nur gewinnen? Der mediale Verteilungskampf um Aufmerksamkeit ist hart. Doping ist das grundsätzliche Thema der Leichtathletik, Gut gegen Böse das des Lebens. Die Prise, mit der man das Gericht seit Juni angereichert hat, hat den Geschmack daran erheblich gesteigert. „Es steht mir bis hier, über Doping zu reden“, behauptet Kumbernuss und hält die Hand an die Nasenspitze. Lassen kann sie es freilich nicht. Und Kollark? Der Verschmähte hat es den arroganten Verbandswestlern gezeigt. Kollarks Problem: Er ist ein Schaffer, aber kein Mann des bedachten Wortes. „Es sind schon manche aufgrund von Indizien aufgehängt worden“, sagt er. Eigentlich ist es eine Forderung. DLV-Präsident Digel hat Vita Pawlisch zunächst einmal die Hand gegeben. Bis anderes erwiesen ist, sei sie „rechtschaffene Zweite“.

Die Ukrainer haben derweil die nächste Runde eingeläutet. Generalsekretär Kolenno sagt, Kumbernuss sei „verrückt“. Er will aufklären. Ein Foto von Pawlisch, lächelnd, soll in deutschen Zeitungen abgedruckt werden. „Sieht so ein Monster aus?“ fragt er. Vita Pawlisch lächelt und ist wirklich richtig nett. „Ich bin kein Monster“, sagt sie. Wie wird sie mit der Niederlage fertig? „Psychologisch habe ich gewonnen“, sagt sie. Nächstes Jahr will sie über 21 Meter werfen „und bei Olympia Weltrekord“. Weltrekord? Der steht seit vielen Jahren bei 22,67 m, wird von Natalja Lisowskaja gehalten, aber in verständlicher Diskretion möglichst nie erwähnt. Von Kumbernuss' persönlicher und Weltjahresbestleistung (21,22 m) sind das nicht ganz zehn Prozent. Auch ein Indiz. „Schreiben Sie: Weltrekord“, sagt Pawlisch und lacht schallend. Wenigstens eine, die sich köstlich amüsiert.