Energievergeuder Wasserstoff

Der SPD-Solarexperte Scheer will Milliarden in den alternativen Brennstoff stecken. Viele Experten halten das für eine Geldverschwendung  ■ Von Johannes Bernreuter

Berlin (taz) – Seit Jahren trommelt der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer für die Wasserstofftechnik. Nun will er die Eurofighter-Milliarden in wasserstoffgetriebene Flugzeuge stecken. Energieexperten betrachten solcherlei Projekte ziemlich nüchtern: Allenfalls langfristig könne Wasserstoff in der Energieversorgung eine Rolle spielen. In den nächsten 30 Jahren, sagt der Energiewissenschaftler Klaus Traube, sei „die Wasserstoffgeschichte sinnlos“.

Scheer, nebenbei Präsident von Eurosolar, sieht das anders: Im September will er die SPD-Fraktion auf seine Linie einschwören. „Wasserstoff“, schwärmte er 1991 in der Zeit, sei „die einzigartige Chance zur Lösung der Energieprobleme der Menschheit, des Luftverschmutzungsproblems, der Abwendung einer Klimakatastrophe“. Bereits in den achtziger Jahren entstanden vor dem geistigen Auge euphorischer Ingenieure riesige Solarstrom-Kraftwerke im Wüstensand, um damit Wasserstoff für den energiehungrigen Norden herzustellen. Ein umweltfreundlicher Brennstoff, der sauber zu Wasser verbrennen kann. Doch diese Vision entpuppte sich als Fata Morgana.

Fachleute sind sich heute einig, daß Energiesparen an oberster Stelle steht, „solange die Einsparpotentiale noch nicht ausgeschöpft sind“. Das vertritt zum Beispiel Rainer Schüle vom Freiburger Ökoinstitut. Direkt dahinter auf der Prioritätenliste rangiert die verstärkte Nutzung erprobter erneuerbarer Energien wie Wind, Sonnenwärme und Biomasse. Der Energieträger Wasserstoff taucht weder in den Untersuchungen der Klima-Enquetekommission des Bundestags noch im „Grünen Energiewende-Szenario 2010“ des Öko-Instituts auf.

Gleichwohl hält es Rainer Schüle für sinnvoll, Wasserstoff als Ergänzung zu alternativen Energiequellen zu entwickeln, denn langfristig müsse der Energieträger eine Rolle spielen als Speicher für Strom in der Solarwirtschaft. Auch Angelika Heinzel vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg meint: „Wenn man voll auf regenerierbare Energien setzt, muß man die Wasserstofftechnik realisieren.“ Da das Energieangebot von Sonne und Wind im Tages- und Jahresverlauf stark schwankt, soll der überschüssige Strom nach der gängigen Vorstellung Wasserstoff erzeugen, der bei Bedarf wieder in Strom umgewandelt werden kann.

Statt Millionen von Mark in die Atom- und Fusionsforschung zu stecken, sollte die Entwicklung der Wasserstofftechnik schon heute vorangetrieben werden, argumentiert Rainer Schüle. Allein für die Fusionsforschung gibt das Bonner Forschungsministerium jährlich bis zu 200 Millionen Mark aus; für Wasserstoff blieben 1996 nur knapp vier Millionen übrig.

Dagegen hält Klaus Traube, einst Atom-Manager und heute profilierter Kritiker der Energiewirtschaft, gar nichts von den Wasserstoff-Träumen. „Diese akademischen Spekulationen“, sagt Traube, „sind wirklich nur fürs Reißbrett.“ Für seine Einschätzung hat der Energiewissenschaftler einen einfachen Grund: „Wasserstoff ist das Teuerste, was man sich überhaupt ausdenken kann.“ Selbst wenn sich die Herstellungskosten drastisch senken ließen, lägen sie für Solarwasserstoff inflationsbereinigt noch im Jahr 2025 zehn- bis zwanzigmal so hoch wie heute die Verbraucherpreise für Heizöl und Benzin (ohne Steuern). Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Bundestags-Enquetekommission für Technikfolgen-Abschätzung schon 1990.

Traube macht eine andere Rechnung auf. Würden die heutigen Preise für fossile Energien durch Steuern bis zum Jahr 2020 durchschnittlich um das Dreifache erhöht, würde der Energiebedarf in der Bundesrepublik um die Hälfte sinken, der Kohlendioxid- Ausstoß gar um 75 Prozent. Die Hälfte des Bedarfs könnten dabei regenerative Energien decken; Wasserstoff wäre überhaupt nicht nötig. Interessant wird dieses Szenario, das Traube 1992 an der Universität Bremen durchgerechnet hat, durch den Vergleich mit der Studie der Enquetekommission für Technikfolgen-Abschätzung: Weil sie Wasserstoff einbezieht, erreicht sie dieselbe Kohlendioxid- Reduktion in ihrem Szenario erst im Jahr 2050. Für die Produktion des Wasserstoffs braucht es fünfmal soviel Solarstrom wie in Traubes Rechnung. Wer das bezahlen soll, sagt die Studie nicht.

Traube will nicht ausschließen, daß Wasserstoff in Spezialbereichen sinnvoll sein kann. Der Luftverkehr sei „vielleicht eine Nische, wo das gerade noch denkbar wäre“. Aber, fügt der Wasserstoff- Skeptiker gleich hinzu, „ich glaub' daran auch nicht“.