Treuer Diener der Atomlobby

Charles Souleau, der mögliche Leukämiefälle in der Umgebung der WAA von La Hague untersuchen sollte, mußte zurücktreten  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Was den Professor geritten hat, ist schwer nachzuvollziehen. Jedenfalls rastete Charles Souleau, Vorsitzender des staatlichen Expertenkomitees, das gesundheitliche Folgen der WAA am Kap La Hague untersuchen sollte, in den letzten Wochen aus. Statt der erwarteten exakten Wissenschaft lieferte er Polemik pur. Er bezichtigte die französischen Umweltschützer, einschließlich der Umweltministerin in Paris, des „Totalitarismus“, warnte vor ihrem „Terror des Jahres 2000, der gewöhnliche Bürger in den Selbstmord treiben könne“, und kanzelte Forscher, die eine Erhöhung der Leukämiefälle rund um die WAA festgestellt hatten, ab – als „von der anglophonen Lobby manipuliert“. In dieser Woche wurde sein Rücktritt bekannt. Die Studien über mögliche Strahlenopfer rund um die WAA gehen aber weiter.

Erst im Januar hatte die damalige konservative Regierung das mit sieben hochkarätigen Wissenschaftlern sowie Vertretern der WAA-Betreiberin Cogéma und der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft EDF besetzte Komitee eingerichtet. Zuvor waren die besorgniserregenden Ergebnisse einer epidemiologischen Studie des französischen Professors François Viel bekannt geworden. Nach der Untersuchung von 60.000 Menschen unter 25 Jahren, die im 35- Kilometer-Radius um die WAA La Hague leben, hatte Viel festgestellt, daß dort das Risiko einer Kinderleukämie um den Faktor 2,87 erhöht ist. Im British Medical Journal beschrieb er eine Korrelation zwischen Leukämie und Besuchen auf den Stränden des Kap La Hague sowie dem Konsum von Meeresfrüchten aus der Region.

Bei vielen Bewohnern des nördlichen Cotentin brach Panik aus. Die französischen Nukleokraten mobilisierten ihre Leute zu einer Beruhigungsoffensive. Umweltministerin Corinne Lepage, die bei ihren Versuchen, unabhängige Institutionen zur Kontrolle der französischen Atomindustrie zu schaffen, stets an der Atomlobby und dem Industrieminister gescheitert war, konnte sich dieses Mal durchsetzen und ein Komitee einrichten. Als Präsident berief sie den Pharmazieprofessor und Umweltexperten des staatlichen Hygienerates, Charles Souleau. Von ihm erwartete sie mehr Unabhängigkeit als von den Mitarbeitern der Atomkontrollinstitute, die organisatorisch alle dem atomaren Komplex angehören.

Es war das erste Mal seit Inbetriebnahme der WAA vor über 30 Jahren, daß die Regierung ein unabhängiges Kommitee vor Ort schickte, um den Zusammenhang zwischen Strahlenemission und gesundheitlichen Folgen zu untersuchen. Im Juni wurde Dominique Voynet Umweltministerin – die erste Grüne in einer französische Regierung. Es folgte die Ankündigung, der Schnelle Brüter von Malville werde gestoppt. Die Atomlobby reagierte kopflos. Die Reaktionen reichten von persönlichen Diffamierungen der Umweltministerin à la „Nett, aber inkompetent“ über verhaltenen Triumphalismus nach dem Motto „Der Spuk wird nicht lange dauern“ bis hin zu sachlich falschen Kampagnen.

Zu letzteren zählt auch der Auftritt des Komiteepräsidenten Charles Souleau am 26. Juni vor mehreren hundert Anwohnern der WAA. Der Professor erklärte, es gäbe keine erhöhte Leukämierate in der Region, und legte Informationen vor, die angeblich aus der Arbeit seines Komitees stammten. In Wirklichkeit war seine Quelle die Cogéma, die Betreibergesellschaft der WAA, was wenig später entsetzte Mitglieder des Expertenkomitees bekannt machten.

Mit Souleaus Rücktritt ist die Situation keineswegs geklärt. Zwar hat die französische Regierung inzwischen den Zugang zu mehreren kontaminierten Stränden am Kap La Hague gestoppt. Auch Segeln und Fischfang sind verboten in der Zone, wo die Cogéma ihre strahlenden Abwässer völlig ungeklärt in den Ärmelkanal leitet. Aber die wissenschaftliche Auskunft über die Gesundheitsfolgen der WAA steht weiter aus.